Der Friedensprozess ist geschwächt
Bischof Barreto im Interview

439 Morde an Menschenrechtsverteidigern und Umweltschützern. Die Bevölkerung Kolumbiens leidet noch immer unter der Gewalt. Anlässlich der einjährigen Präsidentschaft von Iván Duque gibt Adveniat-Projektpartner Bischof Juan Carlos Barreto Barreto im Interview ernüchternde, aber auch hoffnungsvolle Einblicke in die aktuelle Situation.

Die Hoffnung auf Frieden (Paz) und Brot (Pan) ist in Kolumbien groß. Doch der Friedensprozess ist geschwächt. Eine Situation der Verunsicherung beschreibt Bischof Barretto aus Quibdo.

Die Hoffnung auf Frieden (Paz) und Brot (Pan) ist in Kolumbien groß. Doch der Friedensprozess ist geschwächt. Eine Situation der Verunsicherung beschreibt Bischof Barreto aus Quibdo. Foto: Adveniat/Jürgen Escher

Fast täglich werden Menschenrechtsaktivisten in Kolumbien getötet. Wie hat sich die Lage unter der Regierung von Präsident Duque geändert?
Bischof Juan Carlos Barreto Barreto: Mit dieser Regierung nimmt die Gewalt nicht ab. Wir sind besorgt über die Hoffnungslosigkeit und die Diskreditierung des Friedensprozesses. Menschenrechtsaktivisten werden bedroht und sogar ermordet. Unter ihnen sind viele Autoritäten der indigenen Völker, die die Anerkennung ihre Territorien einfordern, und Menschen, die sie dabei beratend begleiten. Obwohl die Gefahr in einigen Regionen des Landes durch den Prozess des Waffenstillstands mit der Farc-Guerilla abgenommen hat, verschlechtert sich unter Präsident Ivan Duque die Sicherheitslage insgesamt. Der Staat hat soziale Investitionen nicht getätigt und er übt über viele Gebiete gar nicht die Kontrolle aus. Die Guerilla ELN, der Golf-Clan und andere bewaffnete Gruppen konnten diese Gebiete zurückerobern. Menschen werden vertrieben und verbannt, Minderjährige angeworben, Personen entführt, Antipersonenminen ausgelegt, und illegale bewaffnete Akteure kontrollieren die Territorien der indigenen Gemeinschaften. Sowohl der Sprecher der Vereinten Nationen als auch der Bürgerbeauftragte Kolumbiens (Defensor del Pueblo de Colombia) bestätigen, dass sich das Land in einer kritischen humanitären Situation befindet, die sich nicht nur nicht verbessert, sondern verschlechtert hat.

Für die Friedens- und Menschenrechtsarbeit in Lateinamerika.

Juan Carlos Barreto Barreto, Bischof von Quibdó

Juan Carlos Barreto Barreto, Bischof von Quibdó.

Ist der Friedensprozess gefährdet?

Barreto: Es ist offensichtlich, dass der Friedensprozess in Kolumbien seit der Amtseinführung von Präsident Iván Duque stark geschwächt, gespalten und zerbrochen wurde. Die aktuelle Regierung hat darauf bestanden, den Prozess einer Institutionalisierung des Friedens zu diskreditieren und nicht weiter zu finanzieren. Es ist beunruhigend, dass Präsident Duques Nationaler Entwicklungsplan das Friedensabkommen nicht anerkennt und unsichtbar macht. Entstanden ist eine Situation der Ungewissheit. Institutionen, die das Friedensabkommen umsetzen sollen, wie die Wahrheitskommission (Comisión de la Verdad) oder die Einheit zur Suche nach verschwundenen Personen (Unidad de Búsqueda de Personas dadas por Desaparecidas) leiden darunter.

Wie lautet Ihr Appell an die Regierung Duque?

Barreto: Die Autoritäten der indigenen Völker und die Verteidiger von Menschenrechten sollen ihre Arbeit frei ausüben können und dürfen nicht länger stigmatisiert werden. Die Regierung muss die für die Umsetzung des Friedensabkommens mit der Farc erforderlichen wirtschaftlichen, politischen und sozialen Ressourcen bereitstellen und das Friedensabkommen einhalten. Der Dialog mit der ELN muss wieder aufgenommen werden. Denn obwohl es sich um eine illegale, bewaffnete Gruppe handelt, die Menschenrechte verletzt, können die nationale Regierung und die Zivilgesellschaft ihre Forderungen nur am Verhandlungstisch geltend machen. Zudem muss die Regierung effektiv gegen Paramilitarismus und neue kriminelle Strukturen vorgehen

Was sind nun die wichtigsten Schritte für ein friedlicheres Kolumbien?

Barreto: Es braucht einen strategischen Sozial- und Wirtschaftsplan, unabhängig vom Friedensabkommen. Nur so kann die soziale Ungleichheit überwunden werden. Die Korruption in den Behörden muss effektiv bekämpft und die Versöhnungsarbeit gefördert werden. 

Welche Rolle hat die Kirche in Kolumbien und wie unterstützt Adveniat sie dabei?

Barreto: Die Kirche fordert vehement die Wahrung der Menschenrechte und der sozialen Gerechtigkeit ein. Sie klagt jegliche Rechtsverletzungen an. Außerdem unterstützt die Kirche Organisationen, die sich für Indigene und Opfer einsetzen. Ohne die Unterstützung von Adveniat wäre das beispielsweise in meinem Bistum Quibdó nicht möglich. Die Partnerschaft mit Adveniat ist daher auch weiterhin sehr wichtig, um die kirchliche Infrastruktur zu verbessern und sozialpolitische Bildungsprogramme für Frieden und Versöhnung umzusetzen.

Mit seiner Kampagne "Frieden jetzt!" unterstützt das Lateinamerika-Hilfswerk Adveniat die Versöhnungsarbeit der kolumbianischen Kirche. Wie in der Diözese Quibdó werden in vielen regionalen Friedensinitiativen über die gesellschaftlichen Gräben hinweg friedliche Konfliktlösungsstrategien entwickelt.