Carneval popular
Kolumbiens Karneval der Armen

Es wird geschminkt, getrommelt und mit dem Handy geknipst: Ein Jahr lang haben sie sich im Viertel „Britalia“ im Süden der kolumbianischen Hauptstadt Bogota auf den „Carnaval popular“ vorbereitet. Nur mit Mühe konnten Paula Amzo (19) und Ordensschwester María Helena Cespedes Siabato (72) die Mittel aufbringen, um den „Karneval des Volkes“ zu retten. Jetzt aber marschiert John Fredy Boada Poveda (38), Tanzleiter des Projekts, mit einer gewaltigen Fahne vorneweg. Der Karnevalsumzug setzt sich in Bewegung.

„600.000 Gründe für den Frieden“ ist auf einigen Plakaten zu lesen. Auf anderen ist erklärt, was es mit dieser Zahl auf sich hat: „Jedes Jahr werden 600.000 Gründe geboren, um in Frieden zu leben.“ Wie in ganz Kolumbien bewerten auch die Einwohner von „Britalia“ das Friedensabkommen zwischen der Regierung und der Guerillaorganisation Farc sehr unterschiedlich: Einige lehnen den ausgehandelten Vertrag ab, weil sie fürchten, dass die Rebellenbosse trotz der Gewalt straflos davonkommen könnten. Andere kämpfen für das Friedensabkommen wie Paula und Schwester Maria: „Weil es uns als Volk eine Chance auf einen neuen Anfang gibt.“ Also ziehen sie durch die Straßen des einkommensschwachen Viertels und rufen den Menschen zu: „Paz, Paz, Paz – Frieden, Frieden, Frieden“. Einige klatschen, andere drehen sich weg.

„Jedes Jahr werden 600.000 Gründe geboren, um in Frieden zu leben.“
„Jedes Jahr werden 600.000 Gründe geboren, um in Frieden zu leben.“ Foto: Tobias Käufer
An diesem einen Tag haben die Freude, der Karneval, die Musik und der Tanz die Straßen fest im Griff.
Die Freude, der Karneval, die Musik und der Tanz haben die Straßen fest im Griff. Foto: Tobias Käufer
Trommeln und Tanz bestimmen den Karnevalsumzug im Stadtteil Britalia im Süden Bogotas.
Trommeln und Tanz bestimmen den Karnevalsumzug im Stadtteil Britalia im Süden Bogotas. Foto: Tobias Käufer.

Im Alltag der Menschen ist dennoch die Gewalt an der Tagesordnung. Opfer sind vor allem junge Frauen. Gewalt gegen Frauen ist deswegen auch ein Thema beim Karnevalsumzug. Eine Gruppe von Frauen hat sich als Hexen verkleidet und springt wild umher: „Kein weiteres Opfer mehr, keine Gewalt“, rufen sie beim Umzug durch die Straßen. „Ni una menos“ (nicht eine weniger) heißt die feministische Bewegung, die seit einigen Jahren in Lateinamerika auf Gewalt gegen Frauen aufmerksam macht. „Dort hinten wurde ein Mädchen vergewaltigt. Niemand hat ihr geholfen. Abends auf dem Sportplatz“, berichtet Schwester Maria. Sie kümmert sich um diese Schicksale. Betroffene Frauen können bei ihr Schutz suchen, wo genau verrät sie nicht. „Sonst stehen am nächsten Tag die Männer vor der Tür und wollen die Frauen abholen.“

Trotz der Armut und alltäglicher Gewalt im Viertel wird aber heute ausgelassen gefeiert. An diesem einen Tag haben die Freude, der Karneval, die Musik und der Tanz die Straßen fest im Griff. Vielleicht auch deswegen, bleiben alle bis zuletzt. Im Gemeindesaal gibt es ein kleines kulturelles Feuerwerk von Tanz, Satire und Musik. Und von Momenten des Schweigens: Als eine Theatergruppe junger Schauspielerinnen still das Verschwinden von Frauen und Mädchen nachspielt, weiß jeder im vollbesetzen Saal was gemeint ist. Das Stück endet hoffnungsvoll, weil es einer Frau gelingt, sich aus der Prostitution zu befreien. Der Karneval von Britalia soll Mut machen.

Text: Tobias Käufer