Gelbe Karte für den Ex-Gastgeber
Brasilien vier Jahre nach der WM

Vor der WM ist nach der WM. Was wurde den Brasilianern zur Fußball-Weltmeisterschaft 2014 nicht alles an Investionen in die Infrastrutur versprochen. Und was ist geblieben, vier Jahre danach? Die Frage hat Christian Frevel, Leiter der Abteilung Öffentlichkeit bei Adveniat, dem Domradio beantwortet.

Auch das berühmte Stadion Maracana wurde für die sportlichen Großereignisse für viel Geld umgebaut und erneuert.
Auch das berühmte Stadion Maracana in Rio wurde für die sportlichen Großereignisse für viel Geld umgebaut und erneuert. Foto: Adveniat/Bastian Hennings

Wie sieht es denn jetzt im Moment in den brasilianischen Sportstätten aus?

Frevel: Damals zur WM 2014 wurden zwölf Stadien neu errichtet, und die haben die Brasilianer insgesamt 3,5 Milliarden Euro gekostet. Heute sind es Millionengräber. Das heißt, sie werden nicht mehr oder kaum für den Fußballbetrieb genutzt. Es gibt Stadien, die leer stehen und nur noch für Hochzeitsevents oder Kindergeburtstage angeboten werden. Oder es werden so seltsame Sportereignisse wie Treppensteigen-Weltmeisterschaften dort ausgeführt. Die meisten Fußballvereine können sich die immensen Mieten durch die Anforderungen der Betreibergesellschaften dort einfach nicht mehr leisten.

Selbst im berühmten Maracanã-Stadion in Rio de Janeiro spielen die großen Klubs Fluminense oder Flamengo nur noch selten, weil es einfach zu teuer ist dort zu spielen. Die daraus resultierenden Eintrittspreise von 150 Reais pro Karte - also etwa 50 Euro -, die man bezahlen muss, um so ein Spiel zu sehen, während es live im Fernsehen übertragen wird und in jeder Eckkneipe gesehen werden kann, sind den meisten zu teuer.

Damals wurde auch versprochen, dass ganz viel in die Infrastruktur des Landes gesteckt wird, also Straßen, Zug- und Bahnverbindungen. Was ist daraus geworden?

Frevel: Ich bin vor kurzem noch in Sao Paulo gelandet und da hieß es damals schon, zur WM sei die U-Bahn in die Stadt bis zum Flughafen fertig. Das ist immer noch eine Baustelle, obwohl es dort langsam aber sicher weitergeht. Man rechnet, dass es in drei, vier Jahren wirklich soweit ist.

Aber es gibt andere gruselige Beispiele. In Cuiaba, das ist die Hauptstadt der Region Pantanal, war eine Straßenbahn versprochen worden. Da wurden auch teure Straßenbahn-Waggons angeschafft, aber von den zwölf Stationen, die zwischen Flughafen und Stadion errichtet werden sollten, ist nur eine fertig geworden und niemand weiß, wohin das Geld versickert ist. Die Gleise waren auf einmal weg. Man sieht in einzelnen Bereichen der Stadt wirklich noch Gleise verlegt, aber in anderen fehlt es einfach und bisher ist dort noch nie eine Straßenbahn gefahren.

Christian Frevel, Leiter der Abteilung Öffentlichkeit des Lateinamerika-Hilfswerks Adveniat.
Christian Frevel, Leiter der Abteilung Öffentlichkeit des Lateinamerika-Hilfswerks Adveniat. Foto: Martin Steffen/Adveniat

Für ganz großes Aufsehen hat damals auch die Räumung der riesigen Favelas gesorgt, die dann den Sportstätten am Ende weichen mussten. Wie reagieren denn die Menschen heute, vier Jahre danach?

Frevel: Es ist so gewesen, dass man damals die Favelas zum Teil geräumt hat. Die Menschen haben alternative Orte bekommen, die aber oft weitab von ihrer bisherigen Lebensstätte waren. Es gab Fischer in Fortaleza und in anderen Städten, die im Landesinneren untergebracht worden waren. Man hat versprochen, dass die Gewalt aus den Favelas vertrieben würde. Die Gewalt ist längst zurück, wie die Situation in Rio de Janeiro zum Beispiel zeigt. Der Mord an der Stadträtin Marielle Franco ist nur die Spitze eines Eisberges. Das heißt, das, was damals an Befriedung und möglichen Chancen für die Menschen versprochen wurde, ist nicht eingetreten.

Sie haben damals die Forderung aufgestellt, dass diese sportlichen Großereignisse einfach nachhaltig sein müssen und auch den Menschen in den Regionen zugute kommen, in denen sie da stattfinden. Ist denn irgendwas davon erfüllt?

Frevel: Nicht viel. Wir haben zehn Forderungen aufgeführt und ich möchte vielleicht auf drei zu sprechen kommen, die beispielhaft sind. Wir haben gesagt, es muss ein besseres Transportwesen in Brasilien geben, insbesondere im Personennahverkehr. Aber das Transportwesen liegt am Boden. Der Streik der Lkw-Fahrer, die derzeit Fernstraßen blockieren und in Konkurrenz zu den Ansichten der Regierung stehen, ist nur ein Beispiel dafür. Wir haben gesagt, die Korruption muss aufhören und es muss mehr Transparenz in der öffentlichen Verwaltung geben.

Danach ist erst der Odebrecht-Skandal mit den großen Korruptionssummen nach oben gekommen und zeigt jetzt auch mit Verhaftungen von großen Politikern, welche Ausmaße diese Korruption eigentlich immer noch in Brasilien hat. Und letztendlich haben wir gesagt, es muss eine bessere Gesundheitsversorgung geben. Die öffentlichen Kassen in Brasilien sind leerer als zuvor und viele unserer Projektpartner - gerade im Gesundheitswesen - klagen darunter und sagen, wir können dieses Angebot für die Menschen nicht mehr aufrechterhalten.

Wie konkret kann Adveniat dagegen arbeiten?

Frevel: Natürlich haben wir die Forderung der "Aktion Steilpass" weitergeführt und haben dann auch im Zuge der Olympischen Spiele mit der Aktion "Rio bewegt uns" weitere Forderungen gestellt und versucht, dort an der Basis Projekte nach vorne zu bringen. "Rio bewegt uns" lebt ja auch weiter. Das heißt, unsere brasilianischen Partner der Aktion "Rio se move" machen ganz konkrete Arbeit in den Favelas und versuchen zum Beispiel mit Sportangeboten und auch mit Bildungsangeboten, Kindern und Jugendlichen eine Chance und bessere Perspektiven im Hinblick auf den Berufsmarkt zu geben.

Denn oft ist es so, dass zwar die Schulangebote in Brasilien verbessert wurden, aber die Chancen auf dem Arbeitsmarkt fast gar nicht mehr da sind. Jeder zweite Jugendliche arbeitet im informellen Sektor ohne Krankenversicherung, ohne Zukunft, ohne Berufsausbildung. Da wollen wir weiter daran arbeiten, dass sich da etwas verbessert.

Wagen wir trotz all diesen Informationen den Schwenk rüber zum Fußball. Diese Schande, das 7:1 der deutschen Elf im WM-Halbfinale gegen Brasilien wirkt höchstwahrscheinlich in Brasilien immer noch nach, oder?

Frevel: Wenn man sagt, man sei Deutscher, dann wird man in jeder Eckkneipe mit dem Ergebnis konfrontiert. Es wird von großer Schande gesprochen. Aber in den letzten Jahren hat Nationaltrainer Tité einen guten Weg mit der Seleção, mit der Auswahl Brasiliens, gemacht. Dennoch ist gerade auch die Seleção in den Blickpunkt der Öffentlichkeit gekommen, weil es um Korruption ging.
Der Ex-Nationalspieler Romario hat im vergangenen Herbst ein Buch geschrieben, in dem er bewies, dass die brasilianischen Fußball-Funktionäre gerade die Seleção benutzt haben, um selber Geld in ihre eigenen Taschen zu stecken. Und Eugenio Figueredo, der Vizepräsident der Fifa und früherer brasilianische Präsident und José Maria Marin, brasilianischer Fußballpräsident, sind beide inzwischen in Haft wegen dieser Vorwürfe rund um die Seleção und die Korruption. Ich hoffe, dass sich das brasilianische Team dadurch nicht beeindrucken lässt und wir eine wunderbare WM erleben.

Das Interview führte Verena Tröster vom Domradio.