100 Tage Bolsonaro
Angst vor Militarisierung steigt

„Gewalt kann nicht durch Gewalt verhindert werden.“ Davon ist die Leiterin der brasilianischen Gefängnispastoral, Schwester Petra Pfaller, überzeugt. Eine Zunahme der Gewalt und eine sich weiter verstärkende Militarisierung aller Lebensbereiche befürchtet sie unter Präsident Jair Bolsonaro, der seit 100 Tagen im Amt ist. Im Interview berichtet sie von den konkreten Bedingungen in den Gefängnissen Brasiliens. 

„Es wird Krieg geben und viele Menschen werden sterben.“ Drastisch beschreibt Schwester Petra Pfaller die Auswirkung der neuen Linie unter Bolsonaro. Der Staat hetze die Gefangenen bewusst gegeneinander auf, um sagen zu können: „Seht, sie bringen sich gegenseitig um.“ In einem Fall seien zwanzig Gefangene in den Trakt eines verfeindeten Kartells verlegt worden. Die Anführer haben jedoch die Strategie durchschaut und intern ein Blutvergießen verhindert. Auf den Straßen der Stadt seien die Kartelle dennoch aufeinander losgegangen – provoziert durch das staatliche Handeln. „Die Reaktion war vorauszusehen – dazu genügte allein schon das Gerücht aus dem Gefängnis“, erläutert Schwester Pfaller.
Die unter Bolsonaro sich verstärkende Militarisierung wirkt bereits: Mehr und mehr Menschen werden verhaftet und im Gefängnis vergessen. Während Reiche in Hubschraubern mit Tonnen von Drogen inflagranti erwischt werden, ohne dass dies irgendwelche Folgen hätte, werden Arme bereits wegen geringfügiger Vergehen verhaftet. „Im Gefängnis sind die Armen. Es handelt es sich um eine Kriminalisierung der Armen und der Drogenabhängigen.“ 

Für die Arbeit der Adveniat-Projektpartnerinnen und -partner in Brasilien.

Polizisten erklärten offen, dass sie nicht mehr verhaften, sondern töten – angeblich aus Notwehr. Gehe man den Fällen nach, finde man fünf, sechs Einschusslöcher von Kugeln der – angeblich aus Notwehr handelnden – Polizisten und keinen einzigen von den Drogendealern oder den überwiegend schwarzen Banditen. „Wer erschossen wird, den braucht man nicht mehr einzusperren. Die Todesstrafe gibt es in Brasilien offiziell nicht – dafür wird sie inoffiziell angewendet, meist bei armen, jungen Schwarzen aus den Favelas der Großstädte“, berichtet Petra Pfaller.

Gefängnisse vierfach überbelegt

Kontakt zu den Gefangenen wird für die Gefängnispastoral und andere Menschenrechtsorganisationen immer schwieriger. Der Staat behauptet aus Sicherheitsgründen. Tatsächlich sind die Haftanstalten überbelegt, die Zahl der Insassen übersteigt die Zahl der Plätze teils um das Vierfache. Die kirchlichen Mitarbeiter werden vonseiten der Gefängnisleitung kritisch beäugt. „Denn neben der religiösen Betreuung, sehen wir vonseiten der katholischen Gefängnisseelsorge es als unsere Aufgabe, die Wahrung der Menschenrechte einzuklagen. Wir zeigen Folterungen an – regional, national und international. Deshalb haben wir nicht allzu viele Freunde.“ 

Morddrohungen und ständige Kontrolle

Befürchtet Sie selbst Repressionen? Immerhin hatte Bolsonaro angekündigt, ausländische NGO-Mitarbeiter auszuweisen. „Man fühlt sich ständig kontrolliert, der Big Brother ist sicher real“, sagt Schwester Petra Pfaller. „Ich arbeite in Brasilien seit 23 Jahren und man ist sicher nicht beliebt in Brasilien als Gefängnisseelsorgerin.“ Sie habe bereits Morddrohungen bekommen, weil sie Folterungen anklagte. „Wir werden aber auf keinen Fall schweigen, zurücktreten, sondern zunehmend klar sagen, wer wir sind und wen wir vertreten“, gibt sich Schwester Petra Pfaller kämpferisch. „Wir sind die Stimme derer, die keine Stimme haben. Wichtig ist, dass sich andere Länder solidarisieren.“