Adveniat zur Fluchtwelle aus Venezuela: „Europa darf den Kontinent jetzt nicht alleine lassen“

„Lateinamerika erlebt inmitten der Corona-Pandemie die größte Fluchtwelle des laufenden Jahrhunderts“, hat Adveniat-Chef Pater Michael Heinz am 18. März in Essen betont. „Geschlossene Grenzen und ausländerfeindliche Übergriffe gefährden das Leben der Migrantinnen und Migranten aus Venezuela“, sagt der Hauptgeschäftsführer des Lateinamerika-Hilfswerks.
 

Täglich überqueren tausende Migranten aus Venezuela die Brücke „Puente Internacional Simón Bolívar“ in die kolumbianische Stadt Cúcuta. Foto: Florian Kopp/Adveniat


„Jeden Tag kommen neue Venezolaner mit Hunger und Durst und suchen einen Platz, wo sie die nächste Nacht überstehen“, berichtet Priester José Elver Rojas Herrera aus der kolumbianischen Grenzdiözese Cúcuta. „Die Lage für die Menschen hier in Cúcuta ist sehr dramatisch. Die Stadt ist auf eine solche Zahl an Migranten nicht vorbereitet, und es bilden sich rund um die Stadt weitere Elendsviertel. Es ist schon zu neuen Gewaltausbrüchen gekommen, die aus Verzweiflung und Aussichtslosigkeit von Venezolanern begangen wurden. Dazu kommen auch Verbrechen von illegalen bewaffneten Gruppen, die sich in diesem Umfeld mehr und mehr ausbreiten”, berichtet Priester Rojas Herrera, der als Projektpartner des Lateinamerika-Hilfswerks Adveniat in Cúcuta die Lebensmittelversorgung von venezolanischen Migrantinnen und Migranten sicherstellt.

„Auf dem ganzen Kontinent ist die Situation dramatisch. Erst in dieser Woche starb erneut ein Migrant aus Venezuela vor Erschöpfung, nachdem er auf Umwegen die geschlossene Grenze zwischen Bolivien und Chile überquerte“, sagt Pater Heinz. Auch aus Peru und Ecuador würden tödliche, ausländerfeindliche Übergriffe gegen Flüchtlinge aus Venezuela gemeldet, Politiker aus Kolumbien und Peru machten populistische Stimmung gegen die Flüchtlinge und schürten damit den Hass gegen die Schutzsuchenden. „In dieser Situation kann und dürfen die USA und auch Europa Lateinamerika nicht alleine lassen. Die Länder, die Flüchtlinge aufnehmen, müssen von der internationalen Gemeinschaft finanziell unterstützt werden, um diese riesige zusätzliche humanitäre Anstrengung inmitten der Corona-Pandemie stemmen zu können“, fordert Pater Heinz. „Lassen wir Länder wie Kolumbien, Brasilien, Ecuador, Peru oder Chile alleine mit diesen Problemen, wird das die Region weiter destabilisieren und den Populismus weiter stärken.
 

Der kolumbianische Pfarrer José Elver Rojas Herrera im Gespräch mit einer Frau, die über einen inoffiziellen Grenzpfad von Venezuela nach Kolumbien gekommen ist, um sich medizinisch versorgen zu lassen. Foto: Philipp Lichterbeck/Adveniat

Gerade in dieser Phase, in der Lateinamerika besonders heftig von den wirtschaftlichen Auswirkungen der Krise betroffen ist“, so Pater Michael Heinz. Die internationale Staatengemeinschaft müsse zugleich ihre Anstrengungen erhöhen, um die Fluchtursachen in Venezuela zu beseitigen. Dazu zählten freie, transparente, von den Vereinten Nationen überwachte Wahlen, das Ende der Gewalt gegen die Opposition im Land sowie ein Ende der internationalen Sanktionen gegen Venezuela, unter denen am Ende vor allem die Armen leiden, fordert Pater Heinz.
 

Für Menschen auf der Flucht in Lateinamerika.


Ein Weg in die richtige Richtung sei dabei die jüngste Entscheidung Kolumbiens, den venezolanischen Flüchtlingen einen zehnjährigen Schutzstatus einzuräumen. „Das holt Migrantinnen und Migranten aus der Illegalität und verschafft ihnen die Perspektive, im Land legal Fuß zu fassen“, sagt die Kolumbien-Expertin von Adveniat, Monika Lauer Perez. Zudem beinhalte das Schutzkonzept auch den Zugang zur Gesundheitsversorgung und das Recht auf eine Corona-Impfung. „Diese Entscheidung bedeutet ein Zeichen der Hoffnung für all die Menschen, die ihr Land verlassen mussten, um eine neues, ein menschenwürdiges Leben aufzubauen. Dies ist ein Weg, der es möglich macht, dass sich Familien im Land integrieren und weiterentwickeln können und ist eine Politik, die von anderen Ländern übernommen werden sollte”, ruft Pfarrer José Elver Rojas Herrera weitere lateinamerikanische Länder dazu auf, dem Beispiel Kolumbiens zu folgen.

Der Kirche in Cúcuta ist es mit Unterstützung von Adveniat gelungen, die Armenspeisungen für Venezolanerinnen und Venezolaner wieder aufzunehmen: „Wir konnten unser zwischenzeitlich wegen der Pandemie geschlossenes Haus für venezolanische Flüchtlinge wieder öffnen und Kinder, alleinerziehende und schwangere Frauen wieder zum Essen empfangen. Zudem konnten wir den Migranten Lebensmittelpakete, Hygieneartikel und Wasser zur Verfügung stellen”, berichtet Rojas Herrera.

Laut Schätzungen von Menschenrechtsorganisationen haben in den letzten Jahren bereits fünf Millionen Venezolaner ihre Heimat verlassen, bis Ende dieses Jahres könnte sich die Zahl auf bis zu sieben Millionen Flüchtlinge erhöhen. Alleine Kolumbien hat mehr als 1,5 Millionen Menschen aufgenommen.