Adveniat zur Lage Haitis zehn Jahre nach dem verheerenden Erdbeben

Mehr als zwei Drittel der Haitianer leben auch zehn Jahre nach dem Erdbeben unterhalb der Armutsgrenze. Die aktuellen Proteste gegen die korrupten Eliten des Landes zeigen: Die Menschen wollen ihr Leben selbst in die Hand nehmen.

„Die Menschen wollen ein Ende der Korruption und eine neue Führungsriege.“ Das beobachtet die Haiti-Referentin des Lateinamerika-Hilfswerks Adveniat Margit Wichelmann. Zehn Jahre nach dem verheerenden Erdbeben vom 12. Januar 2010 stellt sie eine neue Einigkeit in der Bevölkerung fest: „Die Menschen wollen einen grundlegenden Wandel. Sie sind nicht länger bereit, die himmelschreienden Ungerechtigkeiten einer Zwei-Klassen-Gesellschaft als Gott gegeben hinzunehmen.“ Während eine schmale superreiche Elite zum Shoppen nach Miami jettet, leben bis heute mehr als zwei Drittel der Menschen unterhalb der Armutsgrenze. 

Für die Menschen in Haiti.

Die seit Monaten anhaltenden Proteste infolge des Skandals um die veruntreuten Milliarden des Petro-Caribe-Fonds haben das öffentliche Leben in Haiti praktisch zum Erliegen gebracht. Das Geld aus verbilligten Ankäufen von Erdöl aus Venezuela war für den Aufbau der Infrastruktur und Hilfsprojekte gedacht. Gelandet ist es jedoch in den Taschen von Politikern und Unternehmern, wie der Rechnungshof öffentlich gemacht hat. Darin verwickelt ist wohl auch Präsident Jovenel Moïse, der nur noch von den korrupten Eliten des Landes und dem Ausland gestützt wird. „Aufgedeckt wurde nur die Spitze des gigantischen Eisbergs Korruption“, ist Adveniat-Referentin Wichelmann überzeugt. Große Teile der milliardenschweren Hilfe, die nach dem Erdbeben medienwirksam anlief, seien ebenfalls der seit Jahrzehnten systemischen Korruption in Haiti zum Opfer gefallen. „Die Hilfe kam unkoordiniert von außen und war leider viel zu oft mit wirtschaftlichen Eigeninteressen der Geber verquickt. Keine der haitianischen Regierungen der vergangenen Jahre war in der Lage, den Wiederaufbau gezielt zu steuern. Das meiste Geld ist in den Taschen der reichen Elite gelandet“, fasst Haiti-Expertin Margit Wichelmann zusammen.

Handarbeitsgruppe im Sozialzentrum "Pwojé Solidarité" in Corail, einem Armenviertel im Norden von Port au Prince.

Das Armenviertel entstand nach dem Erdbeben im Januar 2010. Zunächst als provisorisches Flüchtlingslager geplant, wuchs Corail ungeplant weiter, inzwischen wohnen in der Gegend ca. 400.000 Menschen unter schweren Bedingungen.

Im Sozialzentrum werden die Kinder regelmäßig untersucht und gewogen und gegebenenfalls mit Zusatznahrung versorgt.

„Wer verhindern will, dass die Hilfe zur Beute der korrupten Eliten wird, muss die vertrauenswürdigen Partner an der Basis fördern“, erklärt Wichelmann. Genau dafür nutzt das Lateinamerika-Hilfswerk Adveniat die kirchlichen Strukturen. Dies reichen bis in die entlegensten Armenviertel des Landes zum Beispiel zu Schwester Helena Margarida Schroeder nach Corail im äußersten Norden der Hauptstadt Port-au-Prince. Gemeinsam mit anderen Ordensschwestern aus Brasilien hat sie ein Sozialzentrum in dem Stadtteil aufgebaut, der aus einem provisorischen Lager für Erdbebenflüchtlinge entstanden ist. Bis heute herrschen unter den 400.000 Bewohnern Armut, Hunger und Durst. Bei den Schwestern werden unternährte Kleinkinder mit einer selbst hergestellten Spezialnahrung aufgepäppelt, Schulkinder werden bei ihren Hausaufgaben betreut und Jugendliche können ihre Freizeit mit Musik und Sportangeboten gestalten. In der Bäckerei, der Besenbinderei und der Werkstatt für Kunsthandwerk stellen Frauen und Jugendliche Produkte her, die in Haiti, aber dank der Kontakte der brasilianischen Schwestern auch im Ausland verkauft werden. „Von dem Geld können sie ihre Familie ernähren oder die Schulgebühren bezahlen“, erläutert Schwester Helena.

„Die jungen Haitianer, die bei unseren Projektpartnern die Vision einer anderen Welt erleben und ihre Rechte kennenlernen, wollen ihr Leben und Haiti verändern“, beobachtete Wichelmann. „Haitis Hoffnung sind diese jungen Menschen, die ihr Leben, ihre Zukunft selbst in die Hand nehmen.“

Für die Menschen in Haiti.