"Einer, der unverbraucht ist"
Adveniat zur Wahl in Peru

Pedro Castillo ist der Sieger und gleichzeitig die faustdicke Überraschung der ersten Runde der Präsidentschaftswahl in Peru. Für den Peru-Referenten des Lateinamerika-Hilfswerks Adveniat Michael Huhn ein Signal gegen das korrupte politische Establishment aber auch für eine gewisse Demokratiemüdigkeit. Für Adveniat ein Grund mehr, auf Bildungsprojekte zu setzen, die die Menschen – insbesondere die Armen – frei, stark und selbstbewusst machen.

Michael Huhn ist Peru-Referent beim Lateinamierka-Hilfswerk Adveniat.

Michael Huhn ist Peru-Referent beim Lateinamierka-Hilfswerk Adveniat. Foto: Martin Steffen

In der Stichwahl um die Präsidentschaft in Peru stehen sich Pedro Castillo und Keiko Fujimori gegenüber. Haben die Peruaner also die Wahl zwischen links und rechts, einem Sozialisten und einer Neoliberalen, wie in vielen Medien zu lesen?

Huhn: Ich bin vorsichtig, die europäischen Kategorien von Links und Rechts unbesehen in Lateinamerika anzuwenden. Keiko Fujimori, die Tochter des früheren Präsidenten Alberto Fujimori mit japanischen Wurzeln, ist sicherlich wirtschaftsliberal, aber keineswegs nationalistisch eingestellt. Das würde man hierzulande gerade mit dem Begriff „rechts“ aber verbinden. Pedro Castillo hat zwar einerseits einige sozialistische Positionen besetzt, die Wahl aber gewonnen, weil er auf die regionale, ländliche Karte gesetzt hat. Nicht gerade „typisch links“, was auch für die konservative Haltung vieler seiner Wähler bei der Frauenfrage oder den Rechten Homosexueller gilt. Bei Castillo ist die Frage, wohin die Reise wirtschaftspolitisch überhaupt geht.

Aber im Vorfeld hatte doch kaum einer Pedro Castillo zugetraut, das Rennen zu machen...

Huhn: Castillo, der in der Lehrer-Gewerkschaft groß geworden ist, hat die erste Runde gewonnen, weil er keine politische Erfahrung hat. Seine Partei „Peru libre“ ist bei der letzten Parlamentswahl noch an der Fünfprozenthürde gescheitert. Entscheidend wird sein, welche Berater er sich in sein Team holt.

Was für ein Signal wollte den peruanischen Wähler senden, in dem sie sozusagen einen „Nobody“ ins höchste Staatsamt hieven?

Huhn: Die Peruaner wollten keinen Politiker mehr aus dem Establishment, sondern einen, der frisch und unverbraucht ist – und aus dem Volk kommt. Er hat im Wahlkampf auf seine andine und ländliche Identität gesetzt. Er würde bei einem Wahlsieg in der zweiten Runde am 6. Juni wohl auf eine Koalition mit den vielen kleineren, anderen, regionalen Parteien im Parlament setzen, das ja ebenfalls am vergangen Sonntag gewählt wurde.

Gegen rund die Hälfte der Mitglieder des ehemaligen Parlamentes laufen Ermittlungen wegen Korruption, Perus ehemalige Präsidenten sitzen zu großen Teilen auf der Anklagebank, in Haft oder im Exil. Ist Peru der Hotspot der Korruption in Lateinamerika?

Huhn: Das glaube ich nicht. Peru sticht hervor, weil sie energischer gegen Korruption vorgehen als andere. Übergangspräsident Martín Vizcarra wurde sein eigener Schneid bei der Aufklärung von Korruption selbst zum Verhängnis. Seine Gegner haben eben ganz genau seine Zeit als Gouverneur durchleuchtet – ganz abgesehen von der Frage, ob die Vorwürfe stimmen oder gezielt gegen ihn gestreut wurden, um einen unbequemen Kämpfer gegen die Korruption loszuwerden. Beides ist sicherlich richtig: die Korruption grassiert, aber es gibt auch einen immensen öffentlichen Willen, dagegen vorzugehen.

Schwester Sonia Herrera gehört zu den Adveniat-Partnerinnen, die mit ihren Bilundgsprojekten die Menschen frei, stark und selbstbewusst machen.

Schwester Sonia Herrera gehört zu den Adveniat-Partnerinnen, die mit ihren Bilundgsprojekten die Menschen frei, stark und selbstbewusst machen. Foto: Martin Steffen/Adveniat

Besteht also die Chance auf einen demokratischen Neubeginn?

Huhn: So einfach ist es leider nicht. Die Haltung bei vielen lautet: Hauptsache ein starker Mann. Dieser für Lateinamerika typische Ruf nach dem Caudillo ist hochproblematisch wie nicht nur das Beispiel des brasilianischen Präsidenten Jair Bolsonaro zeigt. Die Corona-Pandemie hat das noch verstärkt. Der Eindruck bei vielen: Während Corona in Peru so heftig wie in kaum einem anderen Land wütete, kümmern sich die Politiker um den Wahlkampf und nicht um die Nöte des Landes. Beim Blick über den Teich nach China lautet für viele dann die einfache Antwort: Die haben die Pandemie in den Griff bekommen und schnell einen Impfstoff entwickelt, den sie uns liefern, weil da einer sagt, wo es langgeht. Ein autoritäres System wie in China brauchen wir auch, wir haben die Nase voll von Demokratie.

Was tun gegen den Ruf nach dem starken Mann und diese Demokratiemüdigkeit?

Huhn: Mit unseren Projektpartnerinnen und Projektpartnern in Peru setzen wir vom Lateinamerika-Hilfswerk Adveniat auf Bildungsprojekte. Denn Bildung macht Menschen frei und stark, ihre Meinung zu vertreten, andere Meinungen zu ertragen, zu diskutieren und so Gemeinschaft zu bilden. Wir sehen, wie sehr das Menschen verändert. Gerade Menschen aus kleinen Dörfern und Kirchengemeinden in den Anden neigen dazu, den Kopf zu senken und nicht das Wort zu ergreifen, wenn jemand vermeintlich Höher-Gestelltes kommt. Wer einmal erlebt hat, wie diese Menschen in Katecheten- und Bildungskursen lernen, selbstbewusst aufzutreten, weiß: Das ist kein Tropfen auf den heißen Stein, der einfach verdampft. Das ist der Funke, der das Engagement für die Armen, für mehr Gerechtigkeit entfacht.

Das Interview führte Stephan Neumann

Für die Menschen in Lateinamerika.