Die Lebensretter von Lima
Sauerstoffanlage für die Armen

Sauerstoff aus der Pfarrei Cristo Misionero del Padre rettet Menschenleben – jeden Tag. Das Lateinamerika-Hilfswerk Adveniat hat mit seinem langjährigen Projektpartner Juan Goicochea in einem Armenviertel Limas eine Sauerstoff-Abfüllanlage aufgebaut. Neben staatlicher Förderung aus Deutschland haben die Bistümern Bamberg, Augsburg, Mainz, Eichstätt die Anlage finanziell unterstützt.

Der Adveniat-Partner Padre Juan Goicochea hat in einem Armenviertel von Lima eine Sauerstoffabfüllanlage aufgebaut, mit der die schwer an Covid erkrankten Armen der peruanischen Hauptstadt versorgt werden können.

Der Adveniat-Partner Padre Juan Goicochea hat in einem Armenviertel von Lima eine Sauerstoffabfüllanlage aufgebaut, mit der die schwer an Covid erkrankten Armen der peruanischen Hauptstadt versorgt werden können. Foto: Luisenrrique Becerra/Adveniat


Bis zuletzt hat er dem Virus standgehalten. Als seine Kinder und Enkel Covid bekamen (und überlebten), blieb der 82-jährige Javier Ortecho verschont. Doch kurz vor seinem ersten Impftermin im April infizierte er sich dann doch. „Wir kämpfen um ihn. Er ist so stark“, sagt seine Enkelin Nora Cerron. Die 33-Jährige steht vor dem Eingang des Hauses der Comboni-Missionare im Stadtteil San Genaro im Süden der Hauptstadt Lima. Pfarrer Juan Goicochea hilft ihr, drei leere, eineinhalb Meter hohe grüne Sauerstoffzylinder aus dem Auto zu hieven. Sie werden in der Sauerstoffanlage der Pfarrei aufgefüllt und Nora kann sie nachmittags abholen.

Um die Gesundheit ihres Großvaters Javier zu kämpfen, das bedeutet für Nora und ihre Familie, täglich bis zu sieben Sauerstoffzylinder zu füllen, die der Schwerkranke benötigt. Drei Zylinder kann sie in der Pfarrei auffüllen lassen, die restlichen vier Zylinder an einer anderen Anlage in einem weit entlegenen Viertel – allerdings deutlich teurer. In der Pfarrei zahlt sie nur umgerechnet zwölf Euro pro Füllung. „Ohne den günstigen Sauerstoff von der Pfarrei müssten wir viermal soviel Geld aufbringen für den Sauerstoff“, sagt Nora.
 

Für die von Corona betroffenen Menschen in Lateinamerika.

„Die Covid-19-Pandemie hat erneut das Zwei-Klassen-Gesundheitssystem Perus schonungslos offengelegt“, erklärt der Peru-Referent des Lateinamerika-Hilfswerks Adveniat, Michael Huhn. „Wer nicht zahlen kann, muss sich ganz hinten anstellen. Menschen sterben vor Krankenhäusern, ohne behandelt zu werden. Patienten werden nur behandelt, wenn sie ihren eigenen Sauerstoff mitbringen“, schildert Huhn die katastrophale Lage. Weil die Not, an Sauerstoff z u kommen, so groß ist, hat sich Padre Juan Goicochea kurzer Hand entschlossen, mit Unterstützung von Adveniat in der Pfarrei Cristo Misionero del Padre eine Sauerstoffanlage einzurichten. Im Pfarrzentrum gab es dazu ausreichend Platz, zahlreiche Freiwillige betreiben nun die Anlage.

Nora Cerron lässt ihre Sauerstoffflaschen in der Pfarrei Cristo Misionero del Padre auffüllen.

Nora Cerron lässt ihre Sauerstoffflaschen in der Pfarrei Cristo Misionero del Padre auffüllen.

Padre Juan Goicochea hievt die eineinhalb Meter großen Sauerstoffzylinder vom Auto.

Padre Juan Goicochea packt an und hievt die eineinhalb Meter großen Sauerstoffzylinder vom Auto.

Die grünen Sauerstoffzylinder werden sich als Bild der Pandemie ins Gedächtnis einbrennen.

Die Sauerstoffzylinder werden als Bild der Pandemie im Gedächtnis bleiben. Fotos: Luisenrrique Becerra

Menschen, die tage- und nächtelang neben grünen Metallzylindern für Sauerstoff Schlange stehen – dieses Bild wird sich in kollektive Gedächtnis einbrennen. Und Corona-Erkrankte, die ersticken, weil sie keinen Sauerstoff rechtzeitig bekommen haben. „Am 26. Februar, Aschermittwoch, rief ich dazu auf, Spenden für eine Anlage zu sammeln“, erinnert sich Juan Goicochea. Die Reaktion war überwältigend. „Einige verkauften Essen, andere leiteten den Aufruf an ihre Verwandten im Ausland weiter.“ Nach ein paar Wochen waren 130.000 US-Dollar zusammengekommen. Die fehlenden 170.000 US-Dollar sind durch Vermittlung von Adveniat durch staatliche Förderung sowie Spenden der deutschen Bistümer Bamberg, Augsburg, Mainz und Eichstätt finanziert worden. Am Ostersonntag ging die Anlage in Betrieb.
 

Perus Gesundheitssystem ist defizitär, ungerecht und korrupt

Im Eingangsbereich des Wohnhauses der Comboni-Kommunität nimmt Catucha Retamozo die Namen der Sauerstoff-Kunden auf. Sie arbeitet seit Jahren in der Pfarrei mit als Katechetin und in der Sozialpastoral. Im Ganzkörperschutzanzug, mit doppeltem Mundschutz und Gesichtsschild fragt sie nach dem Namen des Patienten, nach dem Rezept für den Sauerstoff, nach der Telefonnummer. „Wenn mir einer verdächtig vorkommt, dann rufe ich den Patienten über Video an, ob die Angaben stimmen“. Das knappe Gut Sauerstoff hat zahlreiche Spekulanten auf den Plan gerufen. Catucha passt auf, dass sich nicht Leute unter die Kunden schmuggeln, die den günstigen Sauerstoff der Pfarrei teuer weiterverkaufen.

„Die Pandemie hat das Beste ebenso wie das Schlechteste im Menschen hervorgebracht“, kommentiert Juan Goicochea. Die Pandemie zeigt, wie defizitär, ungerecht und korrupt das öffentliche Gesundheitssystem in Peru ist. In dieser Situation, so Juan Goicochea, wenden sich viele Menschen an die katholische Kirche, die als glaubwürdiger gilt als viele öffentliche Stellen. So hat beispielsweise Estela Vargas mit zwanzig weiteren ehrenamtlichen Mitarbeiterinnen in der Pfarrei „Cristo Misionero del Padre“ aufgrund der Corona-Pandemie die Volksküche "Tres Marias" aufgebaut, die täglich 150 warme Mahlzeiten verteilt.

Seit Juan Goicochea Chef einer Sauerstoffanlage geworden ist, hat sich sein Arbeitsalltag komplett verändert. Statt Stola trägt er einen Tragegurt, mit dem er die Sauerstoffflaschen vom Auto ins Haus und dann wieder auf seinen Pickup hievt. Dann fährt er sie zum Gemeindezentrum. In zwei Räumen, in denen vorher Altkleider gelagert wurden, brummt die Sauerstoffanlage Tag und Nacht. 54 Zylinder können pro Tag befüllt werden.

Für die von Corona betroffenen Menschen in Lateinamerika.


Sechs Freiwillige aus der Pfarrgemeinde betreiben die Anlage in drei Acht-Stunden-Schichten. Nachmittags fährt Juan Goicochea die vollen Flaschen wieder ins Comboni-Haus zurück, wo sie die Angehörigen der Corona-Kranken dann abholen. „Wenn wir nur ein Leben retten können, hat sich das alles gelohnt“, sagt Juan Goicochea. „Und wir konnten bereits viele Leben damit retten“.

Text: Hildegard Willer

Adveniat, das Lateinamerika-Hilfswerk der katholischen Kirche in Deutschland, steht für kirchliches Engagement an den Rändern der Gesellschaft und an der Seite der Armen. Dazu arbeitet Adveniat entschieden in Kirche und Gesellschaft in Deutschland. Getragen wird das Werk von hunderttausenden Spenderinnen und Spendern – vor allem auch in der alljährlichen Weihnachtskollekte am 24. und 25. Dezember. Adveniat finanziert sich zu 95 Prozent aus Spenden. Die Hilfe wirkt: Im vergangenen Jahr konnten mehr als 2.000 Projekte mit rund 35 Millionen Euro gefördert werden, die genau dort ansetzen, wo die Hilfe am meisten benötigt wird: an der Basis, direkt bei den Armen.