Adveniat-Referentin: "Die Situation an der Grenze ist unmenschlich"

Die Situation an der Grenze zwischen den USA und Mexiko sei von Chaos geprägt, die Zustände in den Auffanglagern unmenschlich, sagt Adveniat-Mittelamerika-Referentin Inés Klissenbauer. Allein im Februar seien rund 100.000 Migranten dort gestrandet, darunter über 9.200 Minderjährige. Das Einwanderungsgesetz müsse überarbeitet und die Situation in den Urspungsländern langfristig verbessert werden, fordert die Adveniat-Referentin.
 

Allein im Februar sind rund 100.000 Migranten an der Grenze zwischen Mexiko und den USA gestrandet, darunter über 9.200 Minderjährige. (Symbolbild) Foto: Kopp/Adveniat


Der Wahlsieg des US-Demokraten Joe Biden trage einen Teil dazu bei, dass sich mehr Menschen aus Mittelamerika auf den Weg in die USA machten, doch die Gründe für den seit vielen Jahren anhaltenden Flüchtlingsstrom seien vielfältig, erklärt Adveniat-Mittelamerika-Referentin Inés Klissenbauer.

Die meisten Flüchtlinge kommen aus Honduras, El Salvador oder Guatemala. Von Gewalt und Armut geprägte Länder, in denen sich die arme Bevölkerung seit Jahrzenten in einer aussichtlosen Lage befindet. Naturkatastrophen und nicht zuletzt die Corona-Pandemie haben die dramatischen Zustände weiter zugespitzt. Allein im letzten Herbst gab es zwei Wirbelstürme, die vielen alles genommen haben. „Die Menschen haben nichts mehr zu verlieren“, sagt Inés Klissenbauer. „Rund 80 Prozent leben in extremer Armut – und der Staat tut nichts.“
 

So hilft Adveniat in Mittelamerika

Angesichts der Corona-Pandemie hat Adveniat in den vergangenen Monaten intensive Nothilfe in Mittelamerika geleistet. Diese umfasste Lebensmittelhilfen, aber auch Projekte für landwirtschaftlichen Anbau zur Selbstversorgung, die Einrichtung und Unterstützung von Suppenküchen, den Wiederaufbau von Häusern, Schulstipendien für Familien, die die Schulgebühren nicht aufbringen können, diverse Unterstützungen damit nach den Hurrikans und auch während der Corona-Pandemie der Schulunterricht weiter stattfinden kann.

Zahlreiche Migrantenherbergen in Mittelamerika unterstützt Adveniat mit Lebensmitteln, aber auch mit Projekten zur Aufklärung über die Gefahren auf der Flucht und darüber, was die Menschen an der Grenzen erwartet und wie ihre Chancen stehen. Denn viele der Migranten sprechen kein Englisch, sodass sie an der Grenze nicht selten Formulare unterschreiben, deren Bedeutung sie nicht kennen.


Die Ausgangslage in den Herkunftsländern der Migranten wie Honduras oder Guatemala sei daher dramatischer denn je, weiß Klissenbauer. Die Staaten seien bereits seit über 20 Jahren durch Arbeitsmigration geprägt. „Die Region wurde als Hinterhof der USA konsequent arm gehalten, obwohl es eigentlich an Ressourcen reiche Länder sind. Die korrupten Regierungen spielten den reichen Wirtschaftsbossen im In- und Ausland in die Tasche, waren in den Drogenhandel verstrickt. All das auf Kosten der Bevölkerung", erklärt die Adveniat-Referentin.

Adveniat-Referentin Inés Klissenbauer. Foto: Steffen/Adveniat

"Zusätzlich befeuert werden die Menschen von Schlepperbanden, die in den Armenvierteln gezielt Propaganda machen, um Menschen zur Flucht zu bewegen", so Klissenbauer. "Sie nehmen die Ärmsten aus, die ihr letztes Erspartes dafür opfern an die Grenze zu kommen, getragen von der Hoffnung, dass sie irgendwie durchkommen werden bis in die USA, und es ihnen dort besser geht."

Es sei derzeit noch unklar, welchen Kurs genau die US-Regierung hinsichtlich der Migrationspolitik einschlagen wird, sagt Klissenbauer. Derzeit führe die Tatsache, dass US-Präsident Biden mittlerweile unbegleitete minderjährige Flüchtlinge ins Land einreisen lässt, zu der traurigen Entwicklung, dass Eltern ihre Kinder bis zur Grenze bringen und dann ohne sie wieder umkehren. Die Zahl der Minderjährigen Flüchtlinge hat sich seit Januar verdoppelt. „Dieses Bild, dass Eltern ihre Kinder an der Grenze ihrem Schicksal überlassen, in der Hoffnung, dass es ihnen bei Angehörigen in der USA besser geht als in ihrer Heimat, zeigt sehr deutlich wie verzweifelt diese Menschen sein müssen. Sie sind in unvorstellbarer Not.“, weiß Klissenbauer.
 

Für die Unterstützung von Migranten in Lateinamerika.


Die Situation an der Grenze und in den Auffanglagern müsse umgehend geregelt werden, fordert die Adveniat-Referentin. „Die Verhältnisse sind unmenschlich.“ Untragbar sei darüber hinaus, dass Migranten, die bereits seit 20 Jahren im Land leben, plötzlich ausgewiesen werden. „Das Einwanderungsgesetz muss so geregelt werden, dass sie auf einen legalen Status hoffen können und nicht länger in ungeklärten Verhältnissen leben." Vor allem aber müssten die Ursachen der Migration wie Armut und Gewalt in den jeweiligen Ländern bekämpft und die von Umweltkatastrophen, korrupten Regierungen und Bürgerkriegen gebeutelten Regionen gezielt wieder aufgebaut werden. (ml)