Guatemala leidet unter den Folgen einer verpfuschten Impfkampagne

In Lateinamerika ist ein Ende der Coronakrise kaum abzusehen. In einigen Ländern, wie etwa Chile, Uruguay und Kuba, ist die Impfkamapagne erfolgreich verlaufen. Ganz anders in Ländern wie Guatemala: In vielen ländlichen Gegenden des mittelamerikanischen Landes gibt es noch immer nahezu kein Impfangebot. 

In den Armenvierteln und den ländlichen Regionen Guatemalas gibt es noch immer nahezu kein Impfangebot.

In den Armenvierteln und den ländlichen Regionen Guatemalas gibt es noch immer nahezu kein Impfangebot. Foto: Achim Pohl/Adveniat

„Bei uns kann die Impfkampagne nicht so schnell umgesetzt werden wie in Europa“, sagt der guatemaltekische Arzt Eric Muñoz. Er ist seit Monaten an der Koordination des sehr langsam voranschreitenden Projekts beteiligt. „Natürlich haben wir keine so gut ausgebaute Infrastruktur, aber vor allem haben wir zu wenig Impfstoff." Zwar hatte das guatemaltekische Gesundheitsministerium frühzeitig einen fragwürdigen Vertrag über acht Millionen Impfdosen mit der russischen Firma Human Vaccine geschlossen und dafür rund siebzig Millionen Euro im Voraus gezahlt. Doch auch Monate später sind die vereinbarten Mengen Impfstoff noch nicht geliefert. In den guatemaltekischen Medien wird spekuliert, einige hochrangige Staatsangestellte hätten bei diesem Geschäft große Summen in die eigenen Taschen gesteckt. Doktor Muñoz jedenfalls muss weiterhin vorwiegend Impfstoff einsetzen, den Israel, Kanada oder die USA spenden. „Die reichen Länder bekommen den Impfstoff zuerst. Ärmere Länder wie wir sind auf Spenden angewiesen. Ich vermute, es wird noch zwei Jahre dauern, bevor wir der gesamten Bevölkerung ein Impfangebot machen können.“

Um die Folgen der Pandemie für die Armen zu lindern, hilft das Lateinamerika-Hilfswerk Adveniat mit 500.000 Euro in Guatemala. "Allein 160.000 Euro haben wir für die Ernährung von Kleinkindern und Familien bereitgestellt", berichtet Inés Klissenbauer, Guatemala-Referentin bei Adveniat. Partner vor Ort seien die Bistümer und Pfarreien, aber auch Ordensleute und die örtliche Caritas. Mit dem Geld des Lateinamerika-Hilfswerks konnten Lebensmittel, Hygieneprodukte wie Seife, Desinfektionsmittel und Masken, aber auch Saatgut und Werkzeuge vor Ort gekauft werden. Mit der Finanzierung von Schulstipendien und Lehrergehältern sowie der digitalen Ausstattung von Schulen unterstützt Adveniat, dass der Unterricht weiter stattfindet. 

Für die von Corona betroffenen Menschen in Lateinamerika.

Mit Vorsicht sind die offiziellen Statistiken zu genießen. Bei einer Bevölkerung von fast 17 Millionen sind in Guatemala offiziell bisher weniger als 15.000 Menschen an COVID gestorben. Doch selbst der vom Gesundheitsministerium angestellte Arzt Eric Muñoz ist skeptisch: „Ich vermute, dass nicht alle Erkrankungen und auch nicht die genaue Zahl der Toten registriert wird. Wir wissen, dass es in den Provinzen viele Todesfälle gab, die nicht als COVID-Erkrankungen gemeldet wurden. Mit Sicherheit sind sehr viel mehr Menschen an COVID gestorben als in den offiziellen Berichten steht.“

Krankenhäuser arbeiten am Limit

Auch die Sterblichkeit auf Grund anderer Faktoren steigt deutlich, ohne dass es dazu vertrauenswürdige Zahlen gäbe. Doktor Muñoz bestätigt, dass viele Krankheiten seit Beginn der Pandemie überhaupt nicht mehr behandelt werden: „Es gibt nicht genug Gesundheitspersonal. Die öffentlichen Krankenhäuser arbeiten am Limit. Es fehlt nicht nur an Ärzten, sondern auch an Krankenpflegern und Hilfspersonal. Viele Leute kommen nicht mehr zur Arbeit, aus Angst sich anzustecken.“

Im ersten Jahr der Pandemie sind Dutzende guatemaltekische Ärztinnen und Ärzte und Hunderte Angestellte im Gesundheitsbereich an COVID gestorben. Heute passiert das nicht mehr. Ein Großteil des Personals ist geimpft, aber in den ländlichen Regionen des Landes sind COVID-Impfstoffe noch immer Mangelware. Ganz anders sieht es in Guatemala-Stadt aus. Dort bilden sich vor den zahlreichen Impfzentren schon lange keine Warteschlangen mehr, obwohl selbst Zwölfjährige geimpft werden können. Offenbar haben die meisten impfwilligen Hauptstädter zumindest ihre erste Dosis erhalten. 

Viele Menschen sterben auf dem Weg zur Herdenimunität

Miguel Otzoy fährt als Sanitäter in einem Krankenwagen mit. So erlebt er Tag für Tag, was in den Notaufnahmen los ist. Das gilt für öffentliche Kliniken genauso wie für teure private Spitäler, die von wohlhabenden Familien genutzt werden. „Wir müssen mit Blaulicht von Krankenhaus zu Krankenhaus fahren, auf der Suche nach einem Bett für Patienten, denen es wirklich schlecht geht. Immer wieder wird uns gesagt: 'Wir haben keinen Platz.' Dann müssen wir weiter suchen, doch in Guatemala-Stadt ist meist alles voll. Ich gehe davon aus, dass wir mit der Zeit auf die eine oder andere Weise eine Herdenimunität erreichen werden, aber auf dem Weg dahin werden viele Menschen sterben. Das ist leider so.“

Hätte ein Großteil der guatemaltekischen Bevölkerung die anfangs sehr strikten Maßnahmen der sozialen Distanzierung monatelang befolgt, wäre die Ausbreitung des Virus wahrscheinlich viel besser kontrolliert worden. Doch auch in Guatemala wird die Pandemie von einer Wirtschaftskrise begleitet, erklärt Doktor Muñoz: „Die ärmsten Bevölkerungsschichten sind am meisten betroffen. Viele bedürftige Menschen gehen auf die Straße und bitten um Almosen. Sie brauchen vor allem Nahrungsmittel. Viele haben ihre Arbeit verloren. Das hat den Druck auf die Regierung erhöht, die Maßnahmen abzuschwächen.“

Immer mehr Kinder leiden unter Unterernährung

Tatsächlich wäre es für einen Großteil der verarmten Bevölkerung unmöglich gewesen, die Maßnahmen der sozialen Distanzierung lange strikt durchzuhalten. Byron Israel hatte vor zwei Jahren noch eine feste Anstellung. Jetzt schlägt er sich mit Gelegenheitsjobs durch. Als sein Arbeitgeber das Unternehmen dicht gemacht hat, musste er sich dem sogenannten informellen Sektor anschließen. Die Arbeitslosigkeit in Guatemala liegt Angaben des Arbeitsministeriums zufolge bei knapp drei Prozent. Die Aussagekraft dieser Zahl ist gering, wenn man in Betracht zieht, dass schon vor der Pandemie über drei Viertel der arbeitenden Bevölkerung keinerlei Sozialversicherung hatten und auch keine Einkommenssteuer zahlten. Viele dieser Menschen bringen ihre Familien mit weniger als fünf Euro am Tag durch, sagt Byron Israel: „Der Lebensstandart in unserem Land ist durch die Pandemie noch weiter gesunken. Viele Firmen haben zu gemacht. Deshalb gibt es keine Arbeit mehr.“

Auch Doktor Muñoz weist auf die schon vor Corona prekäre Lage im Land hin: „Wir sind schon lange ein Land, dass mit weit verbreiteter Unterernährung lebt. Mit der Pandemie ist das schlimmer geworden. Wir haben keine aktuellen Daten, aber ich bin mir sicher, dass der Hunger in Guatemala zur Zeit besonders weit verbreitet ist.“

Fest steht, dass die wirtschaftliche Krise dazu geführt hat, dass immer mehr Kinder an Unterernährung leiden. In den vergangenen Monaten hat sich die Zahl der gezählten minderjährigen Hungertoten verdoppelt. Diese Entwicklung macht der Kinderkrankenpflegerin Sofia Quetzada besonders große Sorgen: „Die Unterernährung hat zugenommen, weil COVID und die Impfungen jetzt prioritär behandelt werden. Aber wir dürfen die vielen anderen sozialen Probleme nicht einfach vergessen.“

Text: Andreas Boueke/red

Adveniat, das Lateinamerika-Hilfswerk der katholischen Kirche in Deutschland, steht für kirchliches Engagement an den Rändern der Gesellschaft und an der Seite der Armen. Dazu arbeitet Adveniat entschieden in Kirche und Gesellschaft in Deutschland. Getragen wird das Werk von hunderttausenden Spenderinnen und Spendern – vor allem auch in der alljährlichen Weihnachtskollekte am 24. und 25. Dezember. Adveniat finanziert sich zu 95 Prozent aus Spenden. Die Hilfe wirkt: Im vergangenen Jahr konnten mehr als 2.000 Projekte mit rund 35 Millionen Euro gefördert werden, die genau dort ansetzen, wo die Hilfe am meisten benötigt wird: an der Basis, direkt bei den Armen.