„Kindern wurde Wasser verweigert”
Venezolanische Flüchtlinge in Ecuador

Fast fünf Millionen Venezolaner sind vor der humanitären Krise in ihrer Heimat geflohen. Viele nach Kolumbien, aber auch in andere Länder wie zum Beispiel Ecuador. Schwester Jenny Marcela Pantoja (43 Jahre) von den Schwestern des Ordens „Religiosas Oblata de los Corazones Altisimos de Jesús y María“ leitet die Herberge „Casa de Acogida El Buen Samaritano“ im Stadtviertel San Blas in Quito. Dort können Migranten aus Venezuela unterkommen – auch dank der Hilfe des Lateinamerika-Hilfswerks Adveniat.

Ein Platz damit Flüchtlingskinder aus Venezuela spielen können: in der aus Herberge „Casa de Acogida El Buen Samaritano“ im Stadtviertel San Blas in der equatorianischen Hauptstadt Quito

Ein Platz damit Flüchtlingskinder aus Venezuela spielen können: in der aus Herberge „Casa de Acogida El Buen Samaritano“ im Stadtviertel San Blas in der ecuadorianischen Hauptstadt Quito. Foto: Knut Henkel

Schwester Pantoja, Sie nehmen seit Mitte 2018 in der Altstadt von Quito Migranten aus Venezuela auf – wie kam es dazu?

Schwester Pantoja: Wir hatten schon Anfang 2018 hier einen Kindergarten eröffnet. Uns war aufgefallen, dass auf den Straßen der Altstadt von Quito immer mehr Kinder unbeaufsichtigt unterwegs sind, während ihre Eltern versuchten als mobile Händler etwas Geld zu verdienen. Da haben wir einem Mittagstisch für Kinder eingerichtet und anschließend mit ihnen etwas für die Schule getan. Mit der Caritas Ecuador haben wir dann beschlossen, hier einen Anlaufpunkt für Migranten einzurichten. Dabei war von vornherein klar, dass wir Familien und Frauen mit Kindern Vorrang geben würden. 

Wie läuft die Zusammenarbeit mit der Regierung? Fördert sie die Einrichtung oder kommen die Mittel vorrangig aus dem Ausland?

Schwester Pantoja: Von der ecuadorianischen Regierung haben wir bisher keine finanzielle Unterstützung erhalten. Zudem haben wir die Erfahrung gemacht, dass alle Bewilligungen von Seiten der Regierung viel Zeit in Anspruch nehmen. Die Bürokratie sorgt dafür, dass alles im Schneckentempo vor sich geht. Deshalb setzen wir auf internationale Unterstützung aus dem kirchlichen Spektrum. Das Lateinamerika-Hilfswerk Adveniat hat uns zum Beispiel den Ausbau der Küche finanziert. Den Backofen nutzen die Migrantinnen nun, um Brot und Backwaren in der Umgebung zu verkaufen. 

Ohne internationale Unterstützung könnten Sie die Herberge also nicht unterhalten?

Schwester Pantoja: Nein, wir müssten umgehend das Tor schließen. Wir haben keine Eigenmittel. 

Für die Menschen in Venezuela.

Wie nehmen die Migrantinnen und Migranten aus Venezuela die ecuadorianische Gesellschaft war? Gibt es auch Ablehnung?

Schwester Pantoja: Ja. Die Familien machen recht viele negative Erfahrungen. Sie werden zum Beispiel aufgefordert zurückzukehren. Frauen haben mir berichtet, dass ihren Kindern sogar ein Glas Wasser verweigert wurde. Das ist erschreckend und lässt sich nicht nur damit erklären, dass es eine berechtigte Angst vor Konkurrenz auf dem ohnehin gesättigten Arbeitsmarkt gibt. 

Schwester Jenny Marcela Pantoja

Schwester Jenny Marcela Pantoja. Foto: Knut Henkel

Nutzen Unternehmer die Notlage der Flüchtlinge aus?

Schwester Pantoja: Ja, leider. Da wird ein unbezahlter Tag auf Probe in der Küche vereinbart und am nächsten Tag kommt eine neue Kraft auf Probe. Das kommt immer wieder vor und wird nicht kontrolliert. Außerdem werden die Venezolaner für die zunehmende Kriminalität verantwortlich gemacht. Diebstähle haben laut Polizei zugenommen. Das führt dazu, dass die Migranten aus Venezuela als Gefahr wahrgenommen werden. 

Dabei sind doch viele nur auf der Durchreise nach Peru…

Schwester Pantoja: Viele, die bei uns für ein paar Tage unterkommen, wollen tatsächlich nach Peru, weil es in Ecuador kaum Arbeit gibt. Andere haben dort Verwandte. Auch Chile oder Brasilien sind Ziele der Leute, die wir hier aufnehmen. 

Wie lange bieten Sie den Migranten Unterkunft?

Schwester Pantoja: Maximal für einen Monat. Allerdings stellen wir den Kontakt zu anderen Organisationen wie dem Flüchtlingsdienst der Jesuiten oder zu den Hilfsprogrammen der Vereinten Nationen her. Die können oft weiterhelfen. Viele der Familien versuchen aber in diesem einen Monat bei uns Fuß zu fassen, eine Arbeit zu bekommen, etwas Geld zu verdienen, um eine Wohnung anzumieten.

Wie sieht es mit Papieren aus? Haben die Flüchtlinge offizielle Papiere und wie wird sich die Forderung der peruanischen Behörden auswirken, die nur Venezolaner mit gültigen Papieren aufnehmen wollen?

Schwester Pantoja: Für das Gros der Menschen ist das ein Desaster. Kopien von Ausweisen und Geburtsurkunde sind schon ein Glücksfall. Wir bekommen immer wieder zu hören, dass es zwei Jahre und viele Behördengänge dauert bis ein Reisepass ausgestellt ist. De facto schließt Peru mit dieser Maßnahme seine Grenzen. 

Viele der Flüchtlinge kommen zu Fuß über Kolumbien. Berichten sie von ihren Erfahrungen?

Schwester Pantoja: Einige schon. Zum Beispiel davon, dass Gegenleistungen für die Hilfe verlangt wird. Eine Frau berichtete, dass ein Mann sie aufforderte, ihm eines ihrer beiden Kinder zu überlassen.

Denken die Menschen auch an eine Rückkehr?

Schwester Pantoja: Ja, aber wann und wie ist offen. In Venezuela gibt es nichts: kein Wasser, kein Essen, kein Strom, keine Gesundheitsversorgung. Für eine Rückkehr fehlen die Perspektiven. 

Das Interviewt führte Knut Henkel