Lateinamerikas Flüchtlingsströme und die Hilfe der Kirche

Die meisten Flüchtlinge aus Lateinamerika drängen nach Norden, in die USA. Doch längst nicht alle kommen auch nur in die Nähe des verheißungsvollen Ziels. Viele sterben auf ihrem Weg. Um diejenigen, die nicht mehr weiter können, kümmern sich Hilfsorganisationen. Anstatt Mauern zu errichten, müssen die Fluchtursachen bekämpft werden. Davon ist der Hauptgeschäftsführer des Lateinamerika-Hilfswerks Adveniat Pater Michael Heinz überzeugt.

Im kolumbianischen Cucuta an der Grenze zu Venezuela werden Flüchtlinge von der Kirche mit Essen versorgt

Im kolumbianischen Cucuta an der Grenze zu Venezuela werden Flüchtlinge von der Kirche mit Essen versorgt, erhalten aber auch medizinische Versorgung und persönliche Beratung. Foto: Florian Kopp/Adveniat

Fast täglich kommen neue Hiobsbotschaften aus und von den Grenzen Lateinamerikas: Ein kubanischer Flüchtling ertrinkt beim Versuch, über die mexikanisch-amerikanische Grenze zu gelangen. Zwei tote Venezolanerinnen: eine erfroren, weil sie nicht ausreichend Kleidung für die eiskalten Andennächte hatte, eine andere entkräftet im Nirgendwo zwischen Bolivien und Chile von einem Schlepper alleine zurückgelassen und schließlich an Erschöpfung gestorben. Flüchtlinge aus Mittelamerika sammeln sich an der mexikanischen Nordgrenze und hoffen, dass ihnen der neue US-Präsident Joe Biden tatsächlich freundlicher gesonnen ist als dessen Vorgänger Donald Trump. Auch hier gibt es täglich erschütternde Szenen von Menschen, die trotz aller Warnung versuchen, den Grenzfluss Rio Bravo zu überqueren und dann in den Fluten umkommen.

Klemens Paffhausen, Brasilienreferent bei Adveniat.

Klemens Paffhausen, Brasilienreferent bei Adveniat. Foto: Martin Steffen

Für alle diese Flüchtlinge und Migranten sind die katholische Kirche und deren Hilfswerke inmitten einer von der Corona-Pandemie hart getroffenen Gesellschaft oft die letzte Anlaufstelle. So wie im Norden Brasiliens, wo es im Bundesstaat Roraima immer wieder zu Attacken von Polizei und einheimischer Bevölkerung gegenüber den vielen tausend venezolanischen Flüchtlingen kommt, die vor Hunger, Gewalt und Repression in ihrer Heimat fliehen und in kirchlichen Anlaufstellen Schutz fanden: "In Roraima hat es jetzt die venezolanischen Flüchtlinge und ihre kirchlichen Helfer getroffen. Aber auch Menschenrechtsaktivisten und Indigene werden immer wieder Opfer von Gewalt und auch Mord", berichtet Klemens Paffhausen vom Lateinamerika-Hilfswerk Adveniat.

Für die Unterstützung von Migranten in Lateinamerika.

Die Verteilungskämpfe werden härter. Das Welternährungsprogramm (WFP) forderte jüngst angesichts einer dramatischen Entwicklung in Mittelamerika eine Sofort-Hilfe für 1,7 Millionen Menschen, die akut Hunger leiden und dringend versorgt werden müssten. Insgesamt soll sich die Zahl der vom Hunger bedrohten Menschen in El Salvador, Guatemala, Honduras und Nicaragua von 2,2 Millionen Menschen im Jahr 2018 auf acht Millionen 2020 vervierfacht haben. Grund für die dramatische Entwicklung seien die wirtschaftlichen Folgen der Corona-Pandemie sowie verheerende Wirbelstürme im vergangenen Jahr, die für eine Zerstörung der Ernten gesorgt haben.

Die Konsequenz: Trotz Corona zogen die Migrationszahlen aus dem Dreieck El Salvador, Guatemala und Honduras Richtung Mexiko wieder an. Dort gibt es entlang der klassischen Migrantenrouten Flüchtlingsherbergen der katholischen Kirche, die für ein paar Tage Gelegenheit geben, auf den langen Fußmärschen oder Busfahrten zur Ruhe zu kommen, zu waschen oder einfach einmal ein paar Stunden zu schlafen. Besonders besorgniserregend ist die Zahl der Kinder und Jugendlichen, die in Richtung USA fliehen. Seit der neue US-Präsident Biden erklärte, Kinder und Jugendliche nicht mehr abzuweisen, sondern ihren Asylantrag in den Vereinigten Staaten klären zu lassen, sind deutlich mehr Minderjährige auf dem Weg. Jüngst wurde sogar ein sieben Jahre altes Mädchen ohne Eltern aus Honduras beim Grenzübertritt in Richtung USA registriert.

Adveniat-Hauptgeschäftsführer Pater Michael Heinz

Adveniat-Hauptgeschäftsführer Pater Michael Heinz. Foto: Martin Steffen

Das alles zu beenden sei nur durch einen tiefgreifenden Politikwechsel möglich, sagt Adveniat-Hauptgeschäftsführer, Pater Michael Heinz. "Die Corona-Pandemie zieht in Lateinamerika schwere wirtschaftliche Konsequenzen nach sich. Zunehmende Armut und soziale Not sind immer Motoren für Kriminalität, Gewalt und dadurch erzwungene Migration." Die Lösung könne deshalb nicht sein, neue Mauern zu errichten. Stattdessen müssten die Fluchtursachen effektiver bekämpft werden. "Es ist eine neue Anti-Drogen-Politik notwendig. Zudem muss der illegale und legale Waffenhandel aus den USA nach Lateinamerika viel stärker reguliert, besser noch komplett unterbunden werden", fordert Heinz. Die internationale Staatengemeinschaft müsse zugleich ihre Anstrengungen erhöhen, um die Fluchtursachen in Venezuela zu beseitigen. Dazu zählten freie, transparente, von den Vereinten Nationen überwachte Wahlen, das Ende der Gewalt gegen die Opposition im Land sowie ein Ende der internationalen Sanktionen gegen Venezuela, unter denen am Ende vor allem die Armen leiden.

Tobias Käufer (KNA)

So hilft Adveniat in Mittelamerika

Angesichts der Corona-Pandemie hat Adveniat in den vergangenen Monaten intensive Nothilfe in Mittelamerika geleistet. Diese umfasste Lebensmittelhilfen, aber auch Projekte für landwirtschaftlichen Anbau zur Selbstversorgung, die Einrichtung und Unterstützung von Suppenküchen, den Wiederaufbau von Häusern, Schulstipendien für Familien, die die Schulgebühren nicht aufbringen können, diverse Unterstützungen damit nach den Hurrikans und auch während der Corona-Pandemie der Schulunterricht weiter stattfinden kann.

Zahlreiche Migrantenherbergen in Mittelamerika unterstützt Adveniat mit Lebensmitteln, aber auch mit Projekten zur Aufklärung über die Gefahren auf der Flucht und darüber, was die Menschen an der Grenzen erwartet und wie ihre Chancen stehen. Denn viele der Migranten sprechen kein Englisch, sodass sie an der Grenze nicht selten Formulare unterschreiben, deren Bedeutung sie nicht kennen.