Menschenrechtler Gonzalez zur Gewalt in Kolumbien - "Lage hat sich etwas gebessert"

In Kolumbien versucht der neue linke Präsident Gustavo Petro das Konzept des "Paz total" umzusetzen, um das Land vollständig zu befrieden. Dabei führt er Gespräche mit allen bewaffneten Banden. Leonardo Gonzalez, Koordinator der Menschenrechtsorganisation INDEPAZ, zieht im Gespräch mit der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA) ein erstes Fazit der Lage von Sozialaktivisten und Menschenrechtlern in dem südamerikanischen Land.
 

Präsident Gustavo Petro versucht das Konzept des "Paz total" umzusetzen, um das Land vollständig zu befrieden. Foto. Adveniat


Herr Gonzales, wie fällt ihr Fazit mit Blick auf die Menschenrechtslage in Kolumbien aus - nach den ersten neun Monaten von Präsident Gustavo Petro im Amt?

Die Lage hat sich etwas gebessert. Was die Zahl der Ermordungen von Sozial- und Menschenrechtsaktivisten angeht, stellen wir einen rückläufigen Trend fest. Zwar sehr langsam, aber die Zahlen gehen allmählich zurück. In anderen Bereichen, wie bei der Zahl der Massaker, gibt es keine Veränderung. Bei Opfern von Antipersonenminen sowie Konfrontationen mit der Armee und den Todeszahlen von Soldaten sind die Zahlen rückläufig. In einigen Regionen sind Fortschritte zu erkennen, in anderen ist die Lage deutlich schlimmer.

Was erhofft sich der Präsident von den Verhandlungen mit allen bewaffneten Gruppen?

Auf dem Weg zum "Paz total" (kompletter Frieden), wie ihn Petro vorschlägt, geht es nicht nur darum, mit den bewaffneten Gruppen zu verhandeln, sondern auch darum, eine Reihe von Maßnahmen umzusetzen, die die Menschenrechte garantieren. Wir haben im Laufe der Jahre gelernt, dass Verhandlungen mit nur einer Gruppe keinen Frieden bringen, weil die anderen Gruppen bestehen bleiben und neue Leute rekrutieren oder sich sogar einige Mitglieder der befriedeten Gruppen neu bewaffnen.

Trotz eines neuen Schutzprogramms für Sozialaktivisten und Menschenrechtler gibt es weiter Dutzende Mordanschläge. Warum ist es so schwierig, die Schutzmaßnahmen umzusetzen?

Gonzalez: Es hat aus verschiedenen Gründen noch nicht funktioniert, hauptsächlich deshalb, weil die bewaffneten Gruppen und die territorialen Konflikte weiter bestehen, wie zum Beispiel der illegale Bergbau, Umweltkonflikte oder die Interessen anderer Dritter, die hinter den bewaffneten Gruppen stehen und ein Interesse an der Aneignung von Land haben.
 

Für den Einsatz für Frieden und Menschenrechte in Lateinamerika.


Was ist Ihrer Erfahrung nach notwendig, um den Schutz von Aktivisten und Menschenrechtlern zu verbessern?

Die Stärkung und ein besseres Wissen über die Gemeinden und Gemeinschaften und das Verständnis, dass zum Beispiel die afrokolumbianischen Gemeinschaften eine andere Art haben, sich selbst zu stärken und zu schützen. Der Staat muss sie bei diesen Formen des Selbstschutzes begleiten. Das gilt auch für die indigenen Gemeinschaften. Das ist es, was dem Staat gefehlt hat. Dieses Verständnis für den jeweiligen Charakter eines Territoriums. Dabei geht es nicht nur um das Wissen, wer in dem Territorium lebt, sondern auch darum, wie die jeweiligen Gemeinschaften sich selbst schützen.

Wer ist für die Gewalt verantwortlich?

Das sind alle bewaffneten Gruppen, vor allem die sogenannten FARC-Dissidenten (Angehörige der ehemaligen, inzwischen befriedeten FARC-Guerilla; die Red.), die paramilitärischen Gruppen, die ebenfalls linksgerichtete ELN. Das sind die ausführenden Gruppen. Aber die intellektuellen Urheber sind andere, und die sind unbekannt. Und um zu verstehen, wer die intellektuellen Urheber sind, müssen wir die sozio-ökologischen Konflikte verstehen, die es in einem Gebiet gibt. Dann können wir sehen, welche die bestimmenden Faktoren der Gewalt sind.

Haben alle diese bewaffneten Gruppen mit dem Drogenhandel zu tun?

Alle sind daran irgendwie beteiligt. Sie nutzen den Drogenhandel zur Finanzierung des Konflikts und des Krieges, und manchmal auch mit dem Ziel, sich selbst zu stärken, Geld zu horten und ihre Anführer zu bereichern, zum Beispiel bei den paramilitärischen Gruppen. Der Drogenhandel ist in allen bewaffneten Gruppen präsent. Auch in der ELN-Guerilla, die gesagt hat, dass sie keinen Kontakt zum Drogenhandel hat. Dabei hatte und hat auch sie ein Interesse daran, sich Gebiete anzueignen, in denen der Drogenhandel und der Koka-Anbau stark vertreten sind.

Text: Tobias Käufer/KNA

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