Corona: Amazonas wird zum Spielball - Indigene sehen düsteren Zeiten entgegen

Während das Coronavirus landesweit um sich greift, braut sich über dem Amazonaswald eine Tragödie zusammen. Denn Holzfäller, Goldsucher und Landräuber sind derzeit aktiver als je zuvor.

Brasilien ist das Land, das die bisher meisten Infektionszahlen von Indigenen. Foto: Escher/Adveniat

Brasilien kommt nicht zur Ruhe. Mehr als 800 Corona-Tote und bis zu 15.000 Neuinfektionen werden tagtäglich gemeldet. Dazu ist die Regierung von Präsident Jair Messias Bolsonaro nach Skandalenthüllungen im freien Fall. Die besorgniserregenden Meldungen vom Amazonas gehen da fast unter.

Während die beiden Millionenstädte am Amazonas, Manaus und Belem, zu den am härtesten vom Coronavirus betroffenen Metropolen Brasiliens zählen, dringt das Virus auch in die Wälder vor. Laut der Indigenen-Vereinigung APIB haben dort mit Stand von Freitag 38 Völker insgesamt 446 Infektionsfälle und 92 Tote gemeldet. Kein anderes Land verzeichnet mehr Infektionen von Indigenen.

"Das Virus erreicht die indigenen Gebiete in ganz Brasilien mit unglaublicher Geschwindigkeit", fasst APIB zusammen. Um die Ausbreitung zu verhindern, sperren Gemeinschaften ihre Dörfer ab und isolieren sich dort. Doch ihre Bemühungen werden durch das Vordringen illegaler Goldsucher, Holzfäller und Landwirte torpediert.
 


Sie dringen in Naturschutzgebiete und indigene Reservate ein, ohne dass die eigentlich für deren Schutz zuständigen Behörden sie aufhalten. Besonders gefährdet sind die schwächsten Gruppen Amazoniens.

In ganz Brasilien soll es 114 isoliert lebende Indigenenvölker geben. Als besonders durch Invasoren bedroht gelten dabei die Indigenengebiete "TI Yanomami" an der Grenze zu Venezuela, wo rund 20.000 Goldsucher aktiv sind, die "TI Alto Rio Negro" im Dreiländereck Brasilien-Kolumbien-Venezuela und die "TI Vale do Javari" an der Grenze zu Peru. Hier gibt es die weltweit größte Konzentration von isoliert lebenden Gemeinschaften.

Unlängst erst meldete die UNIVAJA, die indigene Völker im Javari-Tal vertritt, das Eindringen von Goldsuchern. Im vergangenen September hatten die Umweltbehörde Ibama, die Indigenenbehörde Funai sowie die Bundespolizei hier mehr als 60 Förderflöße der Goldsucher zerstört. Nun wurden erneut Goldsucher am Curuena-Fluss gesichtet, in unmittelbarer Nähe zu einem Siedlungsgebiet von Korubo-Indigenen.
 

für die Menschen in Lateinamerika in der Corona-Krise

Doch dieses Mal werden die Behörden nicht eingreifen. Nach Feuergefechten mit Invasoren wurden Ende 2019 Ibama-Beamte aus der Region abgezogen. Nachdem Ibama zudem im März und April im Bundesstaat Para gegen Goldsucher vorgegangen war, entließ Präsident Bolsonaro besonders engagierte Beamte. Seit einigen Tagen untersteht Ibama nun dem Befehl von Bolsonaros Generälen. Der Ex-Militär Bolsonaro unterstützt offen die Legalisierung der Goldgräberaktivitäten.

Auch Holzfäller haben derzeit freie Hand. In den ersten vier Monaten des Jahres wurden mehr als 1.300 Hektar Wald auf indigenen Gebieten gerodet, 60 Prozent mehr als 2019.

Banden illegaler Holzfäller bedrohen auch die isolierten Völker des Reservats Arariboia im nordöstlichen Bundesstaat Maranhao. In den vergangenen Monaten kamen dabei mehrere indigene "Waldwächter" vom Volk der Guajajara zu Tode. Und im Reservat Uru Eu Wau Wau im nordwestlichen Bundesstaat Rondonia ermordeten Landräuber im April einen Anführer der Karipuna.
 

Lateinamerika hat sich zum Epizentrum der Corona-Pandemie entwickelt. Während in Europa die Infektionszahlen zurückgehen, steigen sie in Lateinamerika rasant an. Gemeinsam mit seinen Projektpartnern hat Adveniat bereits knapp sieben Millionen Euro als Nothilfe geleistet, um die Menschen medizinisch, sowie mit Lebensmittel- und Hygienekits zu versorgen. Mehr dazu


Der Landraub war zuletzt gar vollkommen legal. Denn im Dezember 2019 hatte Bolsonaro ein Dekret erlassen, das eine Amnestie für den Raub von Staatsland von bis zu 1.650 Hektar Größe vorsah. Rund 65 Millionen geraubte Hektar Land hätten damit in Privatbesitz übergehen können. Zwar kippte das Parlament das Dekret vergangene Woche. Doch rund eintausend illegale Landgüter waren da bereits legalisiert.

Zudem ging Parlamentspräsident Rodrigo Maia mit Bolsonaro einen politischen Kuhhandel ein. Maia versprach, sich auf eine abgespeckte Version einzulassen, wenn der Präsident dafür die vom Kongress gewünschten Corona-Hilfspakete unterstützt. Am Mittwoch steht nun ein Gesetzentwurf zur Abstimmung, der Ländereien bis 660 Hektar Größe legalisiert. Das würde immerhin 97 Prozent aller illegalen Ländereien in Amazonien betreffen.

Und auch von Indigenen beanspruchte Gebiete, die bisher nicht offiziell an sie abgetreten wurden, könnten in Privatbesitz übergehen. Damit käme Bolsonaro seinem erklärten Ziel näher, die Indigenengebiete für die wirtschaftliche Ausbeutung durch die Privatwirtschaft freizugeben.

Text: Thomas Milz, KNA