Zwischen Kirche und Mafia – haitianische Migranten in Chile

Interview mit der Chile-Referentin des Lateinamerika-Hilfswerks Adveniat, Margit Wichelmann, zur Reise von Papst Franziskus nach Chile.

Advanit-Chile-Referentin Margit Wichelmann. Foto: Steffen/Adveniat

Papst Franziskus besucht vom 15. bis zum 18. Januar 2018 Chile. Dabei stehen zwei seiner Hauptanliegen im Mittelpunkt: Die Unterstützung der ursprünglichen Völker des Kontinents sowie der Migranten. Adveniat unterstützt die Kirche vor Ort, die sich der vielen Migranten annimmt. In den vergangenen zwei Jahren kommen insbesondere Haitianer in großer Zahl nach Chile. Wie Adveniat-Chilereferentin Margit Wichelmann beobachtet, ist allerdings eine regelrechte Mafia entstanden, die immer mehr Menschen ins Land lockt, ums sie auszubeuten.

Chile gilt als vergleichsweise reiches Land in Lateinamerika. Wie kommt da Papst Franziskus mit seiner Botschaft von der armen Kirche für die Armen an?

Margit Wichelmann: Die Botschaft kommt gut an und wird auch breit wahrgenommen. Natürlich werden die Aussagen in unterschiedlicher Form gedeutet, je nach gesellschaftlicher und sozialer Stellung. Kritisch wird allerdings der Papstbesuch selbst gesehen.

Aber doch nur von kirchen-kritischer Seite…

Wichelmann: … nein, das sind schon breite Bevölkerungsschichten, die vor allem auf die immensen Kosten hinweisen. Sie fragen: Warum wird mit dem Geld der Papstbesuch finanziert anstatt damit die Armut zu bekämpfen?

Wer trägt denn die Kosten?

Wichelmann: Weil die chilenischen Bischöfe den Papst eingeladen haben, muss die Kirche – im Gegensatz zu anderen Reisen – den Papstbesuch selbst bezahlen. Der Staat trägt lediglich die Kosten für die Sicherheit. Die Kirche hat jedoch sehr professionell Kampagnen aufgezogen, um bei den Gläubigen finanzielle Unterstützung einzuwerben. Spricht man mit den Menschen vor Ort, sehen sie aber nicht nur die Kosten, sondern vielmehr auch das Hoffnungszeichen, das von dem Besuch ausgeht.

Welche Themen sollen mit der Reise gesetzt werden?

Wichelmann: Die drei Stationen Santiago, Temuco und Iquique stehen für die drei Schwerpunkte der Reise. Einerseits das offizielle Treffen mit politischen, kirchlichen und gesellschaftlichen Vertretern. Andererseits – was dem Papst ja besonders am Herzen liegt – die Unterstützung von zwei Gruppen, die gesellschaftlich und politisch ausgegrenzt werden: die indigenen Völker, insbesondere die Mapuche, sowie die Migranten.

Inwiefern steht Iquique für das Thema Migration?

Wichelmann: In die nordchilenische Stadt kommen Menschen aus den Nachbarländern Bolivien und Peru, aber auch aus Venezuela und Kolumbien auf der Suche nach Arbeit. Seit einigen Jahren wandern aber verstärkt Menschen aus Haiti nach Chile ein.

Sie sind bei Adveniat auch für Haiti zuständig. Chile ist nicht gerade das nächstgelegene Ziel von der karibischen Insel aus gesehen.

Wichelmann: Das geht unter anderem zurück auf die Präsenz chilenischer UN-Blauhelmtruppen in Haiti von 2004 an. Die haben von ihrem Land erzählt, erste Kontakte sind entstanden. Verstärkt hat sich diese Tendenz dann nach dem verheerenden Erdbeben 2010 und vor allem aufgrund der immer restriktiveren Einreisebestimmungen der „klassischen“ Migrationsziele wie den USA oder seit einigen Jahren auch Brasiliens.

Hat denn Chile die Menschen mit offenen Armen empfangen?

Wichelmann: Die Chilenen sind grundsätzlich sehr gastfreundlich. Außerdem sind die Landwirtschaft, der Bergbau sowie die Industrie froh über Arbeitskräfte, die sie im eigenen Land schlicht nicht finden. Wer einen Arbeitsvertrag hat, kann relativ einfach ein Visum erhalten. Chile hat hier zunächst die Einwanderer in beeindruckender Weise integriert. Inzwischen gibt es jedoch eine regelrechte Mafia, die immer mehr Haitianer ins Land lockt. Das grenzt schon an Menschenhandel. Angesichts der so sprunghaft angestiegenen Zahl an Migranten werden vermehrt Stimmen laut, die den Haitianern vorwerfen, dass sie Krankheiten einschleppen, ihnen die Arbeitsplätze wegnehmen, sich nicht integrieren.

Wie erleben Sie die chilenische Kirche beim Thema Einwanderung?

Wichelmann: In allen von mir besuchten Bistümern wurde Migration als erste und wichtigste Herausforderung genannt. Das Hauptanliegen von den Gemeinden vor Ort bis zu den Bischöfen ist es, die ankommenden Menschen zu begleiten und sie vor Ausbeutung zu schützen.

Wie helfen Kirche und Pfarrgemeinden konkret?

Wichelmann: Sie bieten Sprachkurse und Rechtsberatung, aber auch Kochkurse und Arbeitsvermittlung für Haitianer an. In Iquique gibt es zum Beispiel ein Migrantenheim, das von Adveniat unterstützt wird. Hier finden die Menschen, die ansonsten auf der Straße landen würden, Obdach und Essen, um zunächst ihre Situation zu klären. Sie werden bei der Suche nach Arbeit und Unterkunft unterstützt, und die Mitarbeiter entwickeln gemeinsam mit ihnen Perspektiven für die Zukunft.

Was sind die Erwartungen an den Papstbesuch in Iquique?

Wichelmann: Die große Hoffnung ist, dass der Schutz der Migranten aber auch der indigenen Völker der gesamten chilenischen Gesellschaft ins Bewusstsein gerufen wird. Die Menschen, die sich für die Migranten engagieren, spüren bereits die Rückendeckung für ihre Arbeit durch den Papstbesuch.

Das Interview führte Stephan Neumann