Ein Jahr nach dem Verbrechen von Brumadinho - Adveniat unterstützt Aufklärungs- und Sozialarbeit für Angehörige

Vor einem Jahr brach im südbrasilianischen Brumadinho das Rückhaltebecken einer Erzgrube, 272 Menschen starben. Auch der deutsche Prüfdienst und Zertifizierer TÜV Süd ist in den Fall verwickelt. Seit dem Tag des Verbrechens unterstützt Adveniat mit den Partnern der Diözese Belo Horizonte die Angehörigen der Opfer. 

Hinterbliebende gedenken ihren Angehörigen, die vor einem Jahr Opfer des Verbrechens um Brumadinho wurden. Foto: Kopp/Adveniat

Zur Ruhe kommen die Bewohner der Kleinstadt Brumadinho in Südbrasilien auch ein Jahr nach der Schlammkatastrophe nicht. Bagger und mit getrocknetem Schlamm beladene Lastwagen bestimmen das Straßenbild, dazwischen Journalisten und Katastrophen-Touristen, die sehen wollen, wo sich am 25. Januar 2019 die 13 Millionen Kubikmeter Schlamm ihren Weg bahnten.

Zu den Gedenkveranstaltungen anlässlich des ersten Jahrestages werden nun zusätzlich Besucher und Trauergäste erwartet. Der Erzbischof Dom Walmor Oliveira de Azevedo persönlich wird den Trauergottesdienst begehen. Eingebettet ist der Gottesdienst in die "Wallfahrt zum Jahresgedächtnis und zur ganzheitlichen Ökologie".

Adveniat untersützt die Sozialarbeit der Diözese seit dem Tag der Katastrophe in besonderem Maße. Die Partner stecken all ihre Energie in die Aufklärungsarbeit des Verbrechens und die Bewusstseinsbildung zur Gefahr rund um das Thema Bergbau. "Ich danke Adveniat für die Partnerschaft und die Sensibilität gegenüber den Betroffenen des Verbrechens von Brumadinho", sagt Dom Vicente de Paula Ferreira. "Es sind nicht nur 272 Menschen ums Leben gekommen, das gesamte Umland ist existentiell geschädigt", sagt der Weihbischof.

Elf Menschen werden noch immer vermisst

Elf Menschen werden noch immer unter den Schlammlawinen vermisst. Der Unglückort ein Jahr nach dem Verbrechen. Foto: Kopp/Adveniat

272 Menschen starben an jenem Freitag innerhalb weniger Minuten; den Mitarbeitern des Bergbau-Konzerns Vale, die sich unterhalb des berstenden Dammes befanden, blieben gar nur wenige Sekunden, bevor die meterhohe Schlammwand auf sie einstürzte. Dutzende wurden beim Mittagessen in der Werkskantine überrascht, andere starben, als ihr Autobus vom Schlamm begraben wurde. Noch immer suchen Helfer nach elf Leichen.

Wochenlang stand Brasilien damals unter Schock. Zumal die Bilder nicht neu waren. Gerade einmal drei Jahre zuvor, im November 2015, hatte der Dammbruch des Abraumbeckens eines Tochterunternehmens der Vale 19 Menschen getötet und Tausende obdachlos gemacht. Die Katastrophe im 120 Kilometer von Brumadinho entfernten Mariana hätte eigentlich ein Wendepunkt dafür sein sollen, wie der globale Rohstofflieferant Brasilien mit den Risiken des Bergbaus umgeht.

Mehr als 700 ähnliche Dämme in Brasilien noch in Betrieb

Denn mehr als 700 ähnliche Dämme soll es im ganzen Land geben, Anwohner fürchten wegen des teilweise prekären Zustands der Becken um ihr Leben. Doch wenig ist geschehen. Den Behörden fehlen Fachkräfte zur Kontrolle, während kaum private Zertifizierer bereit sind, Gutachten auszustellen. Derzeit sollen laut Medien 41 Dämme wegen Risiken bei der Stabilität gesperrt sein.

Anfang der Woche hat die Staatsanwaltschaft im Teilstaat Minas Gerais im Fall Brumadinho Anklage gegen elf Mitarbeiter des Bergbauriesen Vale und fünf Mitarbeiter des deutschen Prüfdienstes TÜV Süd erhoben. Obwohl die TÜV-Experten, genau wie die Vale-Manager, seit mindestens Ende 2017 von den Sicherheitsrisiken am Damm der Eisenerzmine Corrego do Feijao wussten, bescheinigten sie ihm Stabilität. Nun müssen sie sich vor der Justiz verantworten.

 

Für die Menschen in Brasilien.

Es war womöglich die Sorge, weitere lukrative Aufträge von Vale zu verlieren, die den TÜV zu seiner Entscheidung bewog. Die Staatsanwaltschaft gab am Dienstag zudem bekannt, bisher von Vale versteckt gehaltene Dokumente gefunden zu haben. Darunter eine Liste mit den "Top-10-Dämmen", deren Sicherheitslage "nicht hinnehmbar" sei, so die Beschreibung durch die Vale-Manager selbst. Auch die Ansammlung von großen Wassermengen am Fuße des Dammes in Brumadinho, die den Bruch auslöste, war vorher bekannt, so die Ermittler.

Derzeit laufen Verhandlungen der Opferfamilien von Brumadinho mit Vale. Es geht um Entschädigungen für verlorenes Eigentum und die verstorbenen Angehörigen. Über die Höhe der Entschädigungen will niemand sprechen, lieber verweist man darauf, dass die Anwälte zum Stillschweigen geraten haben.

Bisher sollen nur rund 10 Prozent der Betroffenen entschädigt worden sein

Denn alle wissen von den Schwierigkeiten, die die Opfer der Katastrophe von Mariana bis heute haben. Das Chaos aus Prozessen und Gutachten dort ist kaum noch zu entwirren, viele Opfer drohen leer auszugehen. Laut einer Erhebung der Staatsanwaltschaft von Minas Gerais sollen bisher nur rund zehn Prozent der Betroffenen entschädigt worden sein. Insgesamt haben 59.000 Personen Ansprüche gestellt, wobei auch nach vier Jahren erst etwa die Hälfte der Anträge abgearbeitet wurde.

In Brumadinho ist derweil die Zahl von Suiziden und psychischen Erkrankungen in die Höhe geschnellt. "Diese Tragödie, dieses Verbrechen hat die Menschen hier krank gemacht", urteilt der für das Gesundheitssystem der Stadt verantwortliche Sekretär Junio Araujo. Fünf Menschen hätten sich umgebracht, 47 versuchten es. Zum Vergleich: Im Jahr zuvor legten "nur" 30 Personen Hand an sich, ein Mensch starb.

Auf den noch immer von Schlamm bedeckten Feldern und Gärten könne man nichts anbauen, und das Grundwasser dürften sie immer noch nicht anzapfen, berichten Bewohner. Einzelhändler haben bereits aufgegeben, genau wie Hotelbesitzer, denen die Touristen weggebrochen sind. Brumadinho sei heute "eine gezeichnete und kranke Stadt", so der Sekretär Araujo. "Es wird dauern, bis das vorübergeht."

Text: Thomas Milz/KNA/Adveniat