"Ein Mord als Warnung an die Zivilgesellschaft"

Am Mittwochabend wurde in Rio de Janeiro die schwarze Politikerin und Menschenrechtsaktivistin Marielle Franco hingerichtet. Adveniat-Projektpartner Antonio Carlos Vieira erinnert sich an die ermordete Mitstreiterin.

Marielle Franco hat sich für ein Ende der Gewalt gegen Frauen - besonders schwarze Frauen - und Jugendliche in den Favelas von Rio de Janeiro eingesetzt hatte. Jetzt ist sie selber Opfer dieser Gewalt geworden.
Marielle Franco hat sich für ein Ende der Gewalt gegen Frauen - besonders schwarze Frauen - und Jugendliche in den Favelas von Rio de Janeiro eingesetzt hatte. Jetzt ist sie selber Opfer dieser Gewalt geworden. Foto: Mídia NINJA; Marielle Franco; CC BY-SA 2.0

„Ausgerechnet sie, die sich für ein Ende der Gewalt gegen Frauen - besonders schwarze Frauen - und Jugendliche eingesetzt hatte, wird selber Opfer dieser Gewalt. Wir sind schockiert und traurig.“ Antonio Carlos Vieira kannte Marielle Franco seit ihrer Jugend. Damals waren beide in der katholischen Jugend in der Favela, dem Armenviertel Maré im Norden von Rio de Janeiro aktiv. Sie wurde schließlich Abgeordnete im Stadtparlament für die linke PSOL-Partei, er ist Direktor des Favela-Museums in der Maré. Seit Jahren unterstützt und begleitet das Lateinamerika-Hilfswerk Adveniat das Projekt.

Am Mittwochabend gegen 21.30 Uhr Ortszeit wurde Marielle von Unbekannten in ihrem Auto mit vier Kopfschüssen getötet. In den Tagen zuvor hatte sie in den sozialen Netzwerken Polizisten der Landespolizei Polícia Militar für mehrere Morde in Favelas verantwortlich gemacht. Die Behörden halten eine Racheaktion von Milizen, Mafia ähnlichen Organisationen, die meist von korrupten Polizisten oder Militärs angeführt werden, für möglich.

Für die Friedens- Menschenrechtsarbeit in Lateinamerika.

Antonio Carlos ist überzeugt, dass Marielles kritische Äußerungen hinter ihrer Ermordung stecken: „Sie haben nicht einfach nur Marielle getötet. Sie haben versucht, den Widerstand all derer zu brechen, die immer noch träumen und dieses Land verändern wollen, die für mehr soziale Gerechtigkeit und Menschenwürde kämpfen. Deshalb verstehen wir diesen Mord als Warnung an die gesamte Zivilgesellschaft.“

Statt Schulen zu bauen, schickt die Regierung Panzer

Ende Februar wurde Marielle im Stadtparlament zur Leiterin einer Kommission eingesetzt, die die Einsäzte der Polizei un des Militärs in Rio überwachen sollte. Mitte Februar hatte Präsident Michel Temer aufgrund der grassierenden Gewalt die Kontrolle über Rios Sicherheitskräfte der Landesregierung entzogen und an einen General übertragen. Die bereits seit Juli in Rio stationierten Soldaten übernehmen die Federführung bei gemeinsam mit der Polizei durchgeführten Aktionen.

Marielle sah die Intervention des Bundes in Rio kritisch, sagt Antonio Carlos. Bereits vor den Olympischen Spielen 2016 war die Maré über sieben Monate durch die Streitkräfte besetzt gewesen. Das Resultat seien zahlreiche Menschenrechtsverletzungen an den Bewohnern gewesen. Die von ihr angeführte Kommission sollte den Militärs nun genau auf die Finger schauen.

Die Regierung glaube, in den Favelas mit militärischer Gewalt die sozialen Probleme lösen zu können, so Antonio Carlos. Statt bessere Schulen und Krankenhäuser zu bauen, schicke man Panzer. Alles unter dem Vorwand, die Gewalt unter Kontrolle bringen zu wollen.

"Rios Problem ist die Gewalt vonseiten des Staates"

„Am schlimmsten ist jedoch, dass die Regierung jetzt Marielles Tod benutzt, um die Militäreinsäzte zu rechtfertigen. Dabei hat Marielle doch genau gegen diese staatliche Gewalt gekämpft. Denn wir hier in der Maré wissen, dass Rios großes Problem die Gewalt vonseiten des Staates und der Behörden ist. Jetzt zu sagen, dass ihre Ermordung die Notwendigkeit der Intervention zeige, ist absurd. Man macht sich damit über Marielles Kampf lächerlich.“

Noch bevor er zu Marielles Beerdigung am Donnerstagnachmittag aufbrach, hat Antonio Carlos am Maré-Museum ein Banner angebracht. „Marielle vive - Marielle lebt“. Die ersten drei und den fünften Buchstaben ihres Namens hat er dabei extra besonders groß geschrieben, so dass sie das Wort „Maré“ bilden. „Marielle lebt, und die Maré auch“, so Antonio Carlos.

Text: Thomas Milz