Die falsche Logik von Altamira:
Staudamm, Gewalt, Gefängnisse

Insgesamt 62 Tote. Das Massaker im Gefängnis von Altamira war das zweitgrößte in der brasilianischen Geschichte. Revolten und Konflikte häufen sich landesweit in den überfüllten Haftanstalten, wie die vom Lateinamerika-Hilfswerk Adveniat unterstützte Gefängnispastoral berichtet.

Auf Gewalt und Massaker in Brasiliens vollkommen überfüllten Haftanstalten reagiert der Staat mit der Forderung nach mehr Gefängnissen. Das ist der falsche Weg, erklärt dagegen die brasilianische Gefängnispastoral.

Auf Gewalt und Massaker in Brasiliens vollkommen überfüllten Haftanstalten reagiert der Staat mit der Forderung nach mehr Gefängnissen. Das ist der falsche Weg, erklärt die brasilianische Gefängnispastoral. Foto: Adveniat/Jürgen Escher

„Der Ruf nach mehr Haftanstalten beschleunigt nur die unendliche Spirale von mehr Gefängnissen, die immer mehr Gewalt produzieren. Anstelle von Masseninhaftierungen muss Brasilien eine Politik verfolgen, die Armut und Not der Menschen an der Wurzel bekämpft.“ Dazu ruft die Leiterin der brasilianischen Gefängnispastoral, Schwester Petra Pfaller, die brasilianische Regierung auf. Zuletzt waren Ende Juli im Gefängnis von Altamira im Norden Brasiliens 58 Häftlinge bei Kämpfen zwischen zwei verfeindeten Kartellen und einem dabei ausgelösten Brand getötet worden. Vier weitere Gefangene starben, als sie anschließend verlegt werden sollten. „Direkt nach unserer Ankunft wurde klar, wie wenig das Leben für den Staat wert ist“, berichtet Schwester Petra Pfaller von ihren Eindrücken als sie nun die Haftanstalt und damit den Tatort des zweitgrößten Massakers in der brasilianischen Geschichte selbst in Augenschein nehmen konnte. Die Leichen seien in einem Kühllaster gelagert worden, aus dem eine Flüssigkeit lief. „Wir konnten nicht sagen, was das war, ob sich die Leichname zersetzten oder ob der Lastwagen schlecht gekühlt war.“

Für die Arbeit der Adveniat-Projektpartnerinnen und -partner in Brasilien.

Angesichts von vollkommen überfüllten Haftanstalten und einer Politik, die gezielt Konflikte zwischen Gefangenen unterschiedlicher Gruppierungen schürt, hatte Schwester Pfaller schon zu Beginn des Jahres gesagt: „Es wird Krieg geben und viele Menschen werden sterben.“ Genau das ist im ersten Halbjahr eingetreten. So hatte es beispielsweise in der Amazonas-Metropole Manaus im Mai in vier Gefängnissen Revolten mit knapp 50 Toten geben. Und Ende Juli nun in Altamira im benachbarten Bundesstaat Pará. Hinzu kommen Schwester Petra Pfaller zufolge die vielen täglichen Morden und Folterungen in den Gefängniszellen im ganzen Land. 

Versöhnung leben - Interview mit Petra Pfaller

Vom Alltag in brasilianischen Gefängnissen berichtet Schwester Petra Pfaller in diesem Video-Interview. Für Sie steht fest: Gefängnisse sind nicht die Lösung, sondern Teil, ja Motor der Gewalt.

Altamira ist den meisten Menschen hierzulande bekannt, weil dort seit Jahrzehnten Bischof Erwin Kräutler für die indigenen Völker und Kleinbauern sowie gegen den Bau des Wasserkraftwerks Belo Monte gekämpft hat. Die Gefängnispastoral Brasiliens weist auf den Zusammenhang zwischen Kraftwerksbau und Zunahme der Kriminalität hin. Handelte es sich vor dem Kraftwerksbau um eine Stadt mit relativ wenigen Gewaltverbrechen, belegt Altamira inzwischen im Gewaltatlas des Brasilianischen Instituts für Öffentliche Sicherheit den zweiten Platz der brasilianischen Städte mit mehr als 100 Toten pro 100.000 Einwohner und Jahr. Der Bau zog Menschen aus ganz Brasilien an, die Arbeit suchten. Außerdem wurden Indigene und Kleinbauern, die auf dem rieisgen Gebiet des Stausees lebten, vertrieben und in der Stadt angesiedelt. Auf die zunehmende Gewalt, reagiert der Staat mit mehr Gefängnissen, vermehrt in privater Trägerschaft. Zynische Pointe: Der Betreiber des Wasserkraftwerks hat eine der neuen Haftanstalten gebaut und wird diese voraussichtlich noch in diesem Jahr in Betrieb nehmen, berichtet die brasilianische Gefängnispastoral.