Gefahr für Indigene: Goldgräber und Holzfäller sind nicht im Homeoffice

Das sich über die Amazonasregion ausbreitende Coronavirus bringt die dort lebenden Indigenen in Lebensgefahr. Goldsucher und Holzfäller, die aktuell verstärkt illegal eindringen, bringen das tödliche Virus zu den indigenen Völker und zerstören gleichzeitig deren Lebenswelt unwiederbringlich. 

Doppelt bedroht sind die Yanomami wie auch andere indigene Völker im Amazonasgebiet: Vom Corona-Virus, aber auch von Holzfällern und Goldsuchern, die verstärkt in die Schutzgebiete eindringen.

Doppelt bedroht sind die Yanomami wie auch andere indigene Völker im Amazonasgebiet: Vom Corona-Virus, aber auch von Holzfällern und Goldsuchern, die verstärkt in die Schutzgebiete eindringen. Foto: Adveniat/Jürgen Escher

Seit 15 Jahren ist der Comboni-Missionar Padre Dário Bossi in der Amazonasregion tätig. Er berichtet über die Situation vor Ort. Der Italiener, der in Maranhão, Manaus, Boa Vista, Porto Velho und Imperatriz im Einsatz war, berät auch das Amazonas-Netzwerk Repam in Brasilien und arbeitet für „Rede Igrejas e Mineração“, ein kirchliches Netzwerk, das in den Bergwerksregionen aktiv ist.

Padre Dário, was bedeutet das Vordringen des Coronavirus für die Indigenen in Amazonien?

Padre Dário: Für die indigenen Völker kommt es zu einer doppelten Bedrohung: Denn inmitten der Pandemie gibt es eine Zunahme der Attacken auf ihre Gebiete, was ja an sich schon dramatisch genug wäre. Sind ihre Gebiete erst einmal abgeholzt und ihre Flüsse durch das Quecksilber der Goldgräber vergiftet, dann ist das nicht wieder rückgängig zu machen. Und damit endet dann auch ihre Freiheit auf diesen Gebieten. Aber gleichzeitig gibt es auch noch die biologische Bedrohung. Ihre Abwehrkräfte gegenüber dem Virus sind geringer. Zudem leben sie in den abgelegensten Regionen des Landes. Sie müssen gewaltige Distanzen zurück legen, um an gute medizinische Versorgung zu gelangen. Der Fall eines 15 Jahre alte Yanomami, der vor einigen Tagen in Roraima verstarb, zeigt das anschaulich. Er ist von einem Gesundheitsposten zum nächsten durchgereicht worden, bis er schließlich in der Hauptstadt Roraima ankam. Dort konnte man ihn aber nicht mehr retten, seine Lungen waren schon zu schwer beschädigt.

für die Menschen in Lateinamerika in der Corona-Krise

Wie können sich die Indigenen schützen?

Padre Dário: Ist die Pandemie erst einmal dort angekommen, wird es sehr schwierig sein, sie einzudämmen. Deswegen isolieren sich die Indigenen selbst in ihren Dörfern. Da die Regierung nichts zu ihrem Schutz unternimmt, bleibt ihnen nichts anders übrig. Aber so wichtig diese Selbstisolierung auch ist, sie wird nicht ausreichen. Denn Goldsucher, Holzfäller und andere dringen in ihre Gebiete ein, und zwar illegal und ohne jegliche Kontrolle.

Verschlimmert sich die Situation in Amazonien also trotz der Pandemie?

Padre Dário: Derzeit verstärkt sich der Raubbau in Amazonien. Während die Pandemie in anderen Regionen der Welt einige Umweltkonflikte abgemildert hat, ist im Amazonasgebiet genau das Gegenteil eingetreten. Die Region von Carajás, im Gliedstaat Maranhão, wo ich arbeite, ist ein Beispiel dafür. Dort gibt es das größte Abbauprojekt von Eisenerz des Bergbaukonzerns Vale. Der Betrieb der Minen läuft unter unverantwortlichen Bedingungen weiter. Ohne ausreichende Kontrollen und Schutz sind dort Arbeiter der Gefahr von Ansteckungen untereinander ausgesetzt. In anderen Regionen Amazoniens nehmen die Konflikte um illegale Goldminen und Abholzungen zu. Weder Goldsucher noch Holzfäller sind derzeit im Home-Office. Im Gegenteil: sie haben ihre Aktionen intensiviert. Das zeigt der Vergleich der Abholzungszahlen von März 2019 mit denen von März 2020: Mitten in der Pandemie hat sich die Abholzung verdreifacht, weil es an den nötigen Kontrollen fehlt. Da ist ein klares Signale der Vernachlässigung, das diese Regierung aussendet. 

Mangelt es denn an staatlichen Kontrollen, weil die Beamten im Home-Office sind? Oder steckt bewusster politischer Einfluss dahinter?

Padre Dário: Offizielle gibt es keine Veränderungen der Aufgabenstellung bei den staatlichen Behörden, sei es die staatliche Indigenenbehörde Funai, die Umweltbehörden ICMBio und Ibama oder die für die schwarze Landbevölkerung zuständige Fundação Palmares. Aber die Behörden werden immer mehr ausgehöhlt. Gezielt werden schrittweise die Mitarbeiter abgelöst, die bisher wichtige Arbeit geleistet haben. So werden diese Behörden Schritt für Schritt auf Regierungslinie gebracht: An erster Stelle stehen die Interessen der Großgrundbesitzer, die es auf noch mehr Land abgesehen haben. Ein Beispiel ist die Entlassung des Direktors der Abteilung Umweltschutz von Ibama, Olivaldi Azevedo. Ibama-Beamte hatten zuvor eine Aktionen gegen illegale Goldsucher durchgeführt und damit nur ihre Pflicht getan. Aber sie haben damit gegen die Interessen von Freunden der Regierung verstoßen. Deshalb musste der Direktor gehen. 

Die Goldsucher und Holzfäller scheinen treue Verbündete von Präsident Jair Bolsonaro zu sein…

Padre Dário: Ja, das sind seine lokalen Verbündeten. Und diese Situation erzeugt ein Klima der Gewalt in den indigenen Gebiete. Für die Gemeinschaften und ihre Anführer, die sich verteidigen, wird die Lage gefährlich. Repam organisiert deshalb derzeit eine Kampagne zum Selbstschutz der indigenen Gemeinschaften. Ein Gefühl der Straffreiheit führt auch zur Zunahme gewaltsamer Landkonflikte. Gewalt und Morde können in Amazonien sowieso kaum untersucht werden. Nachdem die Regierung es den Landbesitzern erleichtert hat, sich zu bewaffnen, stellen wir fest, dass es mehr Waffen gibt. 

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Was kann denn die Kirche tun? 

Padre Dário: Die Kirche wurde durch die Amazonas-Synode Ende letzten Jahres gestärkt. Die Kirche wirkt in Amazonien als politischer Akteur, will aber nicht einfach die Aufgaben und Pflichten der Nationalstaaten übernehmen. Die lokalen Gemeinschaften selbst haben die Kirche gebeten, sie bei der Verteidigung ihrer Rechte zu unterstützen. Dabei ist es wichtig, dass wir diese Gruppen beraten, wie sie ihr Überleben organisieren und wie sie ihre Gebiete gut verwalten können. Und wir sind aktiv beim Widerstand gegen verschiedene Gesetzesinitiativen, die es Grossgrundbesitzern erleichtern soll, Land in Amazonien in Besitz zu nehmen.

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