Amazonas-Bischof Kräutler: Papst hat beim Thema Frauen "Chance vertan"

Der aus Österreich stammende Bischof Erwin Kräutler (80) war maßgeblich an der Amazonas-Synode und ihrer Vorbereitung beteiligt. Im Interview zeigt sich der als "Amazonas-Bischof" bekannte Kräutler zufrieden über die ersten drei "Visionen" des Papstes in dessen Abschlussdokument "Querida Amazonia" (Geliebtes Amazonien). Enttäuscht ist er über fehlende Reformen bei Zölibat und Frauenfrage.

Amazonas-Bischof Erwin Kräuter. Foto: Bastian Bernhard

Herr Bischof, sind Sie zufrieden mit dem nachsynodalen Schreiben von Papst Franziskus?

Ich bin sehr zufrieden mit drei Visionen des Papstes - mit der vierten Vision allerdings nur zur Hälfte. Den Inhalt finde ich dort ausgezeichnet, wo es um die soziale, die kulturelle und die ökologische Vision geht. Bei diesen drei thematischen Schwerpunkten hat der Papst wirklich das zum Ausdruck gebracht, was wir, die Bischöfe, sehen wollten. Er hat sehr starke Begriffe verwendet. Ich denke etwa an die Begriffe "Ungerechtigkeit und Verbrechen", mit denen er die wirtschaftlichen Aktivitäten umschreibt, seien es nationale oder internationale, die Amazonien zerstören und die Rechte der einheimischen Völker missachten. Von großer Bedeutung ist aus meiner Sicht auch der erste Teil der kirchlichen Vision, insbesondere die Stelle, wo der Papst von der Inkulturation der Liturgie spricht.

Und was ist mit der zweiten Hälfte der kirchlichen Vision?

Ich finde, sie bricht in der Mitte ab. Beim Lesen nahm ich plötzlich einen Bruch wahr, einen Übergang von einem Traum zu einer sehr pragmatischen Sichtweise. Der Papst erinnert zunächst an die Notwendigkeit, die Eucharistie in den Gemeinden zu feiern, auch in den ganz entlegenen. Dabei bezieht er sich sogar auf einen Text des Zweiten Vatikanischen Konzils, wonach eine christliche Gemeinschaft erst entsteht, wenn sie sich am Altar versammelt. Deshalb müssten Wege gefunden werden, damit alle Gemeinden in Amazonien Zugang zur Eucharistie haben. An der Stelle aber hört der Traum auf. Es folgen sehr pragmatische, sehr normative Erklärungen. Viele, darunter auch ich, finden diesen Teil des Schreibens sehr merkwürdig, denn er geht mit einem Wechsel des Stils einher.

Für gute Lebensbedingungen für die indigenen Völker im Amazonas.

Das päpstliche Schreiben nimmt das Votum der Synodenteilnehmer nicht auf, in Ausnahmefällen verheiratete Ständige Diakone zu Priestern zu weihen. Sind Sie überrascht oder enttäuscht?

Ich würde nicht das Wort "enttäuscht" verwenden. Sagen wir, es gibt viele Leute wie mich, die perplex sind und nicht verstehen, warum diese Maßnahme nicht in das Papstschreiben aufgenommen wurde. Ich finde es sehr seltsam, dass es in dem Text keinerlei Anspielung darauf gibt - obschon sich mehr als zwei Drittel der Bischöfe dafür ausgesprochen haben. Aber man kann das auch positiver sehen und feststellen, dass der Papst die Diskussion darüber nicht beendet hat.

Ich denke übrigens, dass das Thema weiter zur Sprache gebracht wird, insbesondere von den Bischöfen, die wie ich bei der Synode für eine Weihe von "viri probati" gestimmt haben. Ich glaube, dass die Synode wahrscheinlich dazu gedient hat, die Debatte über dieses Thema zu lancieren. Denn im Grunde gingen wir nicht davon aus, dass der Papst dem sofort zustimmen würde. Und zwar, weil wir zuerst zu einer Vereinbarung gelangen müssen, die von der katholischen Kirche auf der ganzen Welt akzeptiert wird.

Denken Sie, dass der Papst Druckversuchen ausgesetzt war?

Ich kann nicht bestätigen, dass er Druckversuchen ausgesetzt war oder sich von solchen beeinflussen ließ. Ich bin aber überzeugt, dass es viele Interventionen gab, die darauf abzielten, das Thema "viri probati" außen vor zu lassen. Etwas Wichtiges sollte man aber nicht vergessen: Der Papst hat die Schlussfolgerungen der Synodenväter umgehend veröffentlicht und dabei gesagt, "Querida Amazonia" werde nicht an deren Stelle treten.

Blickpunkt-Sonderausgabe Zukunft Amazonas

Interview mit Amazonasbischof Kräutler
Amazonassyndode 
Frauen übernehmen Verantwortung 

Botschaft eines Karipuna
Der Kampf um Land
An vielen Exportprodukten klebt das Blut der Ureinwohner

Reportage
Jedes Kind ein Segen
Training für Geburtshelferinnen in Nuevo Rocafuerte in Ecuador

Spiritualität und Kultur
Yanomami und Christ - Geht das?
Am Orinoco wird die "Kirche mit amazonischem Geicht" konkret

Die Bischöfe, insbesondere Lateinamerikas, sollen potenzielle Missionare bewegen, sich für das Amazonasgebiet zu entscheiden. Genügt das, um dem aktuellen Priestermangel entgegenzuwirken?

Gar nicht! Der heilige Daniel Comboni (italienischer Afrikamissionar, 1831-1881) sagte: "Afrika wird durch Afrikaner gerettet." Amazonien kann nur durch die Menschen von dort gerettet werden. Missionare von auswärts können das Problem nicht lösen. Übrigens versuchen wir schon seit den 1970er Jahren, Berufungen nach Amazonien zu lenken. Kein Bischof kann oder wird Missionare verpflichten, nach Amazonien zu kommen. Diese Zeiten sind vorbei. Das Problem des Priestermangels kann nur gelöst werden, indem man aus dem Reichtum Amazoniens schöpft.

Papst Franziskus schlägt vor, Gruppen von Wandermissionaren im Amazonasgebiet einzusetzen. Was halten Sie davon?

Das scheint mir sehr schwierig. Es gab bereits viele Versuche, solche Gruppen zu bilden. Ohne großen Erfolg, ehrlich gesagt. Das Problem liegt anderswo. Was den Gemeinschaften fehlt, ist die Gegenwart des Priesters. Heute besuchen die Priester entlegene Gemeinschaften zwei bis drei Mal jährlich. Und es sind nur Besuche. Darin liegt der große Unterschied zu den protestantischen Pastoren, die in und mit der Gemeinde leben.

Nun hat das Volk das Recht, jeden Sonntag Eucharistie zu feiern. Man kann die Frage des Zölibats nicht höher gewichten als die Feier der Eucharistie! In Wahrheit geht es um die Eucharistie. Die Gegenwart von Priestern ist deshalb heute das Wichtigste. Passiert etwas Wichtiges oder Schlimmes in den Gemeinschaften, sind wir nie vor Ort. Die Eucharistie wird zu etwas Außergewöhnlichem. Mehr denn je brauchen wir die Verwalter der Sakramente.

 

Adveniat-Projekt: Geburtshelferinnen im Amazonas

Die Hausgeburt ist bei indigenen Frauen im Amazonasgebiet eine jahrtausendealte Tradition. Doch einige traditionelle Praktiken haben sich als gefährlich erwiesen und führten in manchen Fällen zum Tod des Neugeborenen. Bei einer einwöchigen von Adveniat unterstützten Ausbildung wird über indigenes Wissen und moderne Medizin diskutiert und beides miteinander verbunden. Zum Amazonas-Projekt

 

In "Querida Amazonia" schließt der Papst die Tür zur Diakoninnenweihe. Dies würde auf eine "Klerikalisierung der Frauen" hinauslaufen, argumentiert er.

Das ist ein strategischer Fehler, besonders mit Blick auf den Vormarsch der protestantischen Kirchen. Indem die Rolle der Frauen im Papstschreiben keine wirkliche Wertschätzung erfährt, wurde eine Chance vertan. Das beunruhigt uns, denn in mindestens 70 Prozent der Gemeinden im Amazonasgebiet sind Frauen dafür verantwortlich, dass die Kirche ordnungsgemäß funktioniert. Der Papst erwähnt die Möglichkeit, Ämter für Frauen zu schaffen, die keine Weihe erfordern.

Um ehrlich zu sein, ich weiß nicht, wie ich das den Gläubigen erklären soll. Ich habe wirklich größere Fortschritte bei diesem Thema erwartet, denn es ist eine Frage der Geschlechtergerechtigkeit. Das Problem ist, wenn wir im Amazonasgebiet von "Ämtern" sprechen, kehren wir zu den Modellen der Vergangenheit zurück. Wir hatten gehofft, diese Synode würde ermöglichen, Strukturen tief gehend zu hinterfragen, um sie zu verändern. Wir können nicht mit Strukturen aus früheren Jahrhunderten fortfahren. Die Welt verändert sich, und in gewissen Punkten muss sich auch die Kirche verändern.

Der Papst sagt, dass sich die Kirche im Amazonasgebiet durch einen Inkulturationsprozess entwickeln muss.

Mehr noch als von Inkulturation würde ich von Interkulturalität, also von Dialog, sprechen. Inkulturation ist eine Art "Paket", das bereits fertig ist. Ich denke, es ist möglich, wie der Papst empfiehlt, Elemente der indigenen Kultur zu integrieren, ohne sich von der jahrtausendealten Tradition der Kirche abzuschneiden. Das erfordert Anpassungen der Liturgie. Tatsächlich geschieht dies bereits in vielen indigenen Gemeinden.

Wie wird das nachsynodale Schreiben in den Diözesen des brasilianischen Amazonasgebietes umgesetzt?

Die Umsetzung hat bereits begonnen; es haben Treffen und Versammlungen stattgefunden. Wir dürfen die ersten drei Visionen im Schreiben von Papst Franziskus nicht vergessen, trotz der unterschiedlichen Wahrnehmung der kirchlichen Vision. Wir werden die Treffen intensivieren, um die vom Papst skizzierten Themen zu verbreiten. Wir werden dieses Apostolische Schreiben noch einmal lesen und meditieren. Und vergessen Sie nicht, dass das Dokument zusammen mit dem Schlussdokument der Synode zu lesen ist.

Quelle: KNA