Ein Knöllchen - und abgeschoben
Migranten an der US-Grenze

Die Herberge der „Iniciativa Kino para la Frontera“ in der nordmexikanischen Grenzstadt Nogales ist für Migranten und aus den USA Ausgewiesene oft die einzige Zuflucht.

Der Grenzzaun zwischen den USA und Mexiko teilt nicht nur den Kontinent, sondern immer öfter auch Familien.
Der Grenzzaun zwischen den USA und Mexiko teilt nicht nur den Kontinent, sondern immer öfter auch Familien. Foto: Jürgen Escher/Adveniat

Die US-Regierung schiebt jedes Jahr Tausende von „illegalen“ Einwanderern aus Lateinamerika ab. „Illegal“ heißt, ohne gültige Papiere und ohne offizielle Aufenthaltserlaubnis. Bereits unter Barack Obamas Präsidentschaft stieg die Zahl der unfreiwilligen Rückkehrer stark an. Im Jahr 2016 wurden mehr als 340.000 Menschen zur Ausreise gezwungen, 100.000 verließen offiziell „freiwillig“ das Land. Getrennt von ihrer Familie, ohne Geld und Arbeit und mit zerstörten Träumen stranden diese Menschen zu Tausenden in den mexikanischen Grenzstädten.

Nogales im mexikanischen Bundesstaat Sonora ist einer dieser Orte. Im Norden geht die Stadt in den gleichnamigen Ort im US-Bundesstaat Arizona über. Hierhin schieben die USA vor allem Einwanderer aus Arizona, Nevada und Kalifornien ab. In der Stadt selbst gibt es jedoch kaum Hilfen. Vor zehn Jahren, 2008, gründete sich deshalb die von Adveniat unterstützte binationale „Iniciativa Kino para la Frontera“. Das Kooperationsprojekt der Jesuiten und der Ordensfrauen von der Kongregation der „Misioneras de la Eucaristía“ bietet den Migranten neben Unterkunft, warmen Mahlzeiten und neuer Kleidung auch medizinische Versorgung, Bildungsmöglichkeiten sowie rechtliche Unterstützung an. Und das Wichtigste: Hier erfahren die abgeschobenen Migranten, dass sie kein Niemand sind, sondern als Menschen eine unveräußerliche Würde besitzen.

Für gute Lebensbedingungen von Migranten in Lateinamerika.

Die Migranten bekomme Essen, aber noch viel mehr: Fürsorge, rechtliche Beratung und Unterstützung sowie die Möglichkeit, Menschenrechtsverletzungen anzuklagen.
Die Migranten bekomme Essen, aber noch viel mehr: Fürsorge, rechtliche Beratung und Unterstützung sowie die Möglichkeit, Menschenrechtsverletzungen anzuklagen. Foto: Jana Echterhoff

Sowohl aus den USA abgeschobene Migranten als auch Menschen aus Mexiko und Mittelamerika, die sich auf dem Weg in die USA befinden, suchen in der Herberge der „Iniciativa Kino para la Frontera“ Zuflucht. Zwei Welten prallen hart aufeinander: Die einen haben all ihre Kräfte in die beschwerliche Reise Richtung US-amerikanischer Grenze gesetzt. Sie hoffen auf ein besseres Leben ohne Gewalt und Armut. Die anderen sind nach ihrer Abschiebung vollkommen desillusioniert, oft ohne Aussicht, ihre Familien, die zum Teil in den USA verbleiben, wiederzusehen. Für beide gilt: In der Herberge finden sie Küche, Esszimmer, Kleiderschrank, Warenhaus, Arztpraxis und Seelsorge – die „Iniciativa Kino para la Frontera“ vereint alles. 

Abgeschobene Migranten werden gewaltsam von ihren Familien getrennt

Es gibt zwei Mahlzeiten am Tag: Morgens um neun Uhr öffnen sich die Pforten zum Frühstück, nachmittags um 16 Uhr gibt es Abendessen. Vor oder nach dem Essen informiert Schwester Engracia die Migranten über ihre Rechte und sensibilisiert sie für das Unrecht, das ihnen widerfahren ist. Mitarbeiter dokumentieren Fälle von Menschenrechtsverletzungen, um damit Druck gegenüber den Behörden ausüben zu können. Oft leitet Schwester Engracia das Gespräch mit der Frage ein: „Was fehlt euch gerade, um glücklich zu sein?“ Die meisten vermissen vor allem ihre Familien. Die abgeschobenen Migranten werden häufig gewaltsam von ihren Kindern und Partnern getrennt, die anderen mussten Partner, Kinder oder Eltern zurücklassen. 

Knöllchen - Notlüge - Haft - Abschiebung

Die 42-jährige Marta hat fast 17 Jahre mit ihrem Lebensgefährten und ihren zwei Kindern in den USA gelebt. Nach einer Fehlgeburt war sie im Krankenhaus. „Als mich die Ärzte nach drei Tagen entließen, hatte ich ein Knöllchen am Auto. Ich hätte mich ausweisen müssen, habe aber gar keine Dokumente. Aus Angst, dass mein illegaler Aufenthaltsstatus herauskommt, habe ich gelogen und behauptet, ich hätte dort noch gar nicht so lange gestanden“, erzählte mir die Mexikanerin. Ihr illegaler Status, das Knöllchen und die Notlüge führten dazu, dass Marta vier Monate in US-Abschiebehaft saß. Sie wurde nach Nogales abgeschoben. Die US-Behörden hatten ihr zudem die Auskunft über den Aufenthaltsort ihrer Kinder – acht und zwölf Jahre alt – verweigert. Nach zehn Tagen verzweifelten Suchens stand sie wieder in Nogales – mit ihren Jungs im Arm. Marta konnte mithilfe der „Iniciativa Kino para la Frontera“ die beiden Kinder nach Mexiko nachholen. 

Die zutiefst menschliche und liebevolle Fürsorge der Ordensfrauen, Jesuiten und Freiwilligen gibt den Schutzsuchenden in ihrer verzweifelten Lage das Gefühl, als Personen mit all ihren Sorgen geschätzt und geachtet zu werden. 

Text: Jana Echterhoff