Venezuela in der Corona-Krise:
„Die Menschen Hungern, das Land versinkt im Chaos, der Staat zerfällt“

Die Corona-Krise trifft in Venezuela auf eine bereits bestehende Krise, eigentlich sogar auf mehrere: Das südamerikanische Land kämpft schon seit vielen Jahren mit einer Wirtschaftskrise, einer Krise des Gesundheitssystems sowie einer Energie- und Wasserkrise. Auf diesen Berg an existentiellen Problemen kommt nun noch die Corona-Pandemie. Adveniat hilft mit rund 134.000 Euro für Lebensmittel- und Hygienepakete.
 

Reiner Wilhelm ist Venezuela-Referent beim Lateinamerika-Hilfswerk Adveniat. Foto: Steffen/Adveniat


Die Perspektive für Venezuela ist dramatisch, denn mit dem durch Corona nochmals stark sinkenden Ölpreis fließen immer weniger Einnahmen in die Staatskasse des Landes, das vom Ölverkauf lebt.

„Die Lage ist katastrophal“, sagt der Venezuela-Experte des Lateinamerika-Hilfswerks Adveniat, Reiner Wilhelm. Bereits seit mehr als zwei Monaten seien die Menschen jetzt in strengster Quarantäne. „Es fehlt an so ziemlich allem: Es gibt keine Medikamente, keine Ersatzteile, häufig keinen Strom, das Internet funktioniert nur sehr unzuverlässig und da Benzin Mangelware ist, ist auch die landesweite Versorgung mit Lebensmitteln noch unbeständiger als sowieso schon“, erklärt Wilhelm. "Die Menschen Hungern und das nicht erst seit Corona."

„Wir unterstützen in dieser schweren Zeit in Venezuela die Ärmsten“, sagt Reiner Wilhelm. „Diejenigen also, die nichts mehr zu Essen haben, insbesondere alleinerziehende Mütter oder Großeltern, alte Menschen und Menschen mit Behinderung.“ Denn alldiejenigen würde die Krise in Venezuela gerade besonders hart treffen. Ein Grund der Misere seien die ausbleibenden Überweisungen der Migranten aus Lateinamerika, die selbst unter Corona leiden und ihre Arbeit verloren haben. Landesweit unterstützt Adveniat die Menschen in Venezuela mit rund 134.000 Euro in Form von Lebensmittelpaketen und Hygienekits.
 

für die Menschen in Lateinamerika in der Corona-Krise


Auch die medizinische Versorgung sei katastrophal, sagt Wilhelm, der selbst vor einigen Monaten Projektpartner in Venezuela besucht hat. Die Chance auf eine Intensivbehandlung im Falle einer Corona-Infektion sei geradezu unmöglich. Ein Viertel der Krankenhäuser hat kein fließendes Wasser. Es könnten also nicht einmal die Hygieneregeln eingehalten werden. Selbst Standardmedikamente und medizinisches Grundmaterial fehlen fast überall.

Die Inflation hat in Venezuela seit Beginn der Pandemie zusätzlich einen riesigen Sprung gemacht. Die wenigen Lebensmittel, die da sind, sind extrem teuer. In den sozialen Medien ist deshalb nicht nur von dem Coronavirus, sondern auch vom „Corona-Hambre“ die Rede. Hambre bedeutet Hunger. Für viele Venezolaner steht fest, dass mehr Menschen an Hunger sterben werden als am Virus selbst – auch weil sie ihrer Arbeit nicht mehr nachgehen können und kein Geld haben, sich etwas zu essen zu kaufen.
 

Lateinamerika hat sich zum Epizentrum der Corona-Pandemie entwickelt. Während in Europa die Infektionszahlen zurückgehen, steigen sie in Lateinamerika rasant an. Gemeinsam mit seinen Projektpartnern hat Adveniat bereits knapp sieben Millionen Euro als Nothilfe geleistet, um die Menschen medizinisch, sowie mit Lebensmittel- und Hygienekits zu versorgen. Mehr dazu


Produktionsstätten würden enteignet, die Arbeiter bis Ende des Jahres in Dauerurlaub geschickt, bestätigt Adveniat-Referent Wilhelm. „Dazu kommen Massaker an Gefängnisinsassen, Bandenkriege am Rande von Caracas und ein dilettantischer Versuch von Oppositionellen Präsident Maduro zu entführen“, erläutert Wilhelm. „Der Land versinkt im Chaos, der Staat zerfällt. Es gilt das Recht des Stärkeren. Gewalt und Straflosigkeit regieren“, sagt der Venezuela-Experte.

Nicht zu vergessen seien die Migranten, die ihre Arbeit verloren haben und über die Grenze in die Heimat zurück wollen. Die einheimische Bevölkerung verwehre ihnen aus Angst vor der Ansteckung den Zugang zu den Dörfern und Städten, erklärt Reiner Wilhelm. Daneben müssten die Rückkehrer für den illegalen Grenzübertritt in die Heimat bezahlen – an Schleuser, bewaffnete Gruppen oder auch bei offiziellen Polizei- und Militärkontrollen. (ml)