Konflikt in Nicaragua: "Kirche ist Ortega ein Dorn im Auge"

Bischof Álvarez wurde am Freitag in seinem Sitz in Matagalpa in Nicaragua von der Polizei festgenommen. Seitdem steht der regierungskritische Bischof unter Hausarrest. Bisheriger Höhepunkt der Repressionen Ortegas gegen die Kirche. Im Domradio-Interview spricht sich die Mittelamerika-Referentin des Lateinamerika-Hilfswerks Adveniat Inés Klissenbauer dafür aus, weiter auf den Dialog zu setzen.

Zehntausend Nicaraguanerinnen und Nicaraguaner waren am 28. Juli 2018 in Managua auf die Straßen gegangen zur Unterstützung der Bischöfe, die den Friedensdialog vermittelt haben. Bis heute bringt die Kirche zu Prozessesionen sehr viele Menschen auf die Straße.

Zehntausend Nicaraguanerinnen und Nicaraguaner waren am 28. Juli 2018 in Managua auf die Straßen gegangen zur Unterstützung der Bischöfe, die den Friedensdialog vermittelt haben. Bis heute bringt die Kirche zu Prozessesionen sehr viele Menschen auf die Straße. Foto: Klaus Ehringfeld/Adveniat

Wie ist denn die Situation im Augenblick? Ist der Bischof immer noch in Haft und was droht ihm da?

Inés Klissenbauer: Der Bischof ist sozusagen in Haft. Er steht unter Hausarrest in Managua. Die mitinhaftierte Kurie sitzt im Gefängnis.

Warum geht Präsident Ortega so hart gegen die Kirche vor?

Klissenbauer: Die Kirche ist im Moment die einzige Stimme im Land, die noch offen die Regierung kritisiert und sie dazu aufruft, dass sie wieder zur Rechtsstaatlichkeit zurückkehrt, die Menschenrechte wahrt und die politischen Gefangenen freilässt. Die Kirche ist die Stimme, die immer wieder gegen die Regierung mahnt und zu einem anderen Weg aufruft. 

Das gefällt der Regierung offenbar nicht. Wie reagieren denn die Katholikinnen und Katholiken im Land? Lassen die sich dadurch einschüchtern?

Klissenbauer: Man muss Nicaragua sehr gut kennen und auch die Geschichte, um zu verstehen, was in diesem Land passiert. Das ist sehr komplex. Die sandinistische Revolution stürzte 1979 den Diktator Somoza, der aus dem Land floh, und übernahm in einer Junta die Regierung. Nach einer Verfassungsreform wurde Ortega 1984 demokratisch zum Präsidenten gewählt. Die USA finanzierten den Contra-Krieg ehemaliger Somoza-Anhänger gegen die sandinistische Regierung, der 1989 beendet wurde. 1990 unterlag Ortega der konservativen Präsidentschaftskandidatin Violetta Chamorro. 2006 gewann er erneut die Präsidentschaftswahl und ist seitdem an der Macht.

Das Land hat sehr viel Bürgerkriegserfahrung. Die Menschen interessieren sich sehr für Politik. Man kann sagen, es ist ein politisch sehr gespaltenes Land. Es gibt unter den Katholiken Menschen, die bis heute Ortega-Anhänger sind. Es gibt viele Menschen, die sich mit der sandinistischen Revolution bis heute identifizieren, auch mit der Ortega-Regierung, die leider zu einer Diktatur geworden ist. Es gibt viele Menschen, auch Katholiken, die kritisch sind. Es gibt auch viele, die große Anhänger und Befürworter von Bischof Rolando Álvarez sind. Von daher ist das Land sehr gespalten.

Für die Friedens- und Menschenrechtsarbeit in Lateinamerika.

Wie gefährlich kann das denn für Ortega werden? Wie mächtig ist die Kirche in Nicaragua?

Klissenbauer: Diktator Ortega geht mit harten Repressionen gegen alle vor, die seine Regierung kritisieren. Der Ortega-Clan hat einen absoluten Allmachtsanspruch. Jeder, der seine Politik, ihn oder seine Familie kritisiert, wird mundtot gemacht. Die Kirche kann mit Prozessionen immer noch viel mehr Menschen auf die Straße bringen, hat viele Anhänger und wird ihm gefährlich. Deshalb ist sie Ortega ein Dorn im Auge, und er versucht alles zu machen, um kritische Stimmen verstummen zu lassen.

Der Papst hat sich am Sonntag auch zur Situation in Nicaragua geäußert, allerdings eher zurückhaltend. Franziskus wird deswegen heftig kritisiert. Hätte er schärfere Worte finden müssen? Immerhin ist einer seiner Bischöfe verhaftet worden.

Klissenbauer: Der Papst wird hart kritisiert. Andere kommen zu einer anderen Beurteilung der Situation. Es ist in dem Land schon sehr viel Blut geflossen. Man möchte sicherlich auch vermeiden, dass die Situation weiter eskaliert. Man kann nicht absehen, wie lange die Diktatur Ortega währt. Es gibt immer noch die Hoffnung, auch wenn die an viele Bedingungen geknüpft ist, die die Regierung nicht eingehen möchte, dass es wieder zu Gesprächen kommt, dieser schreckliche Konflikt auf eine friedvolle Weise gelöst werden kann und nicht noch mehr Menschen ins Gefängnis wandern.

Es sind über 100.000 Nicaraguaner geflohen, die unter äußerst großen Schwierigkeiten versuchen, in anderen Ländern unterzukommen. Es ist eine so schreckliche Situation für das Land. Alle Kanäle, die es gibt, würden, so hört man, genutzt werden, um mit der Regierung wieder in Gespräche zu kommen und irgendeine andere Lösung zu finden, als einen drohenden Bürgerkrieg, weiteres Blutvergießen oder Repressionen in Kauf nehmen zu müssen.

Das Interview führte Michelle Olion vom Domradio

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