Vor 25 Jahren wurde Bischof Gerardi in Guatemala ermordet

Für seine schonungslose Aufklärung der Bürgerkriegsverbrechen in Guatemala musste Weihbischof Juan Gerardi grausam sterben. Doch der Titel seiner berühmt gewordenen Dokumentation klingt bis heute nach.
 

Weihischof Juan José Gerardi Conedra - hier auf einem Wandbild in Guatemala-Stadt - wird von den einen als Märtyrerbischof verehert, von seinen Gegnern jedoch bis heute diffamiert. Foto: Achim Pohl/Adveniat

Die Mörder hatten auf ihn gewartet. Als Weihbischof Juan Gerardi Conedera spät abends in die Garage seines Pfarrhauses im Zentrum von Guatemala-Stadt einfuhr und ausstieg, schlugen sie mit einem schweren Stein auf ihn ein, immer wieder - so sehr, dass man ihn später nur noch auf Grund seines Bischofsrings identifizieren konnte. Am 26. April 1998 starb Bischof Gerardi in seinem eigenen Blut - als Märtyrer der Menschenrechte. Bis heute ist der Mord nicht voll aufgeklärt - denn die Mühlen der Justiz mahlen in Guatemala nach eigenen Gesetzen.

Nur zwei Tage vor dem feigen Mord hatte der Bischof in der Kathedrale der Hauptstadt seine berühmt gewordene Dokumentation "Nie wieder" (Nunca mas) der Öffentlichkeit übergeben. In diesem Bericht zur "Wiedererlangung des historischen Gedächtnisses" (REMHI) wurden 50.000 der mehr als 200.000 Menschenrechtsverbrechen aus dem 36 Jahre dauernden Bürgerkrieg Guatemalas dokumentiert. Gerardi benannte Ross und Reiter - und unterschrieb damit sein eigenes Todesurteil.

Auf Entschädigung warten die Opfer bis heute

Aus dem Bericht geht hervor, dass mehr als 90 Prozent der Morde auf Armee, Paramilitärs und Zivilpatrouillen zurückgehen. Für etwa 9 Prozent zeichnete demnach die Guerilla verantwortlich. Allein für die Hochland-Provinz Quiche führt der Bericht für die Zeit des Bürgerkriegs 31.400 Verhaftungen, 13.728 Tote, 2.157 "Verschwundene", 3.207 Fälle von Folter und 4.039 Attentate auf. Auf Entschädigung warten die meisten Opfer bis heute.

Von 1974 bis 1984 war Gerardi selbst Bischof von Santa Cruz del Quiche gewesen, wo die "violencia" (Gewalt) ab 1978 besonders heftig wütete. Er wusste also genauestens Bescheid, was dort vor sich ging: Nachts rückte die Armee aus den Kasernen aus oder entsandte Zivilpatrouillen (PAC), um offene Rechnungen zu begleichen. Offiziell lautete die Mission, Unterstützung und Nachschub für die Guerilla abzuschneiden. Tatsächlich war das Ziel eine systematische Vernichtung der indigenen Bevölkerung durch die sogenannten Ladinos, die Machthaber im Land. Ein Völkermord.

Die nächtlichen Invasoren wurden oft zu Bestien. Sie vergewaltigten, enthaupteten, verbrannten oder verstümmelten ihre Opfer bei lebendigem Leib, nicht selten vor den Augen der Angehörigen. Einige Massengräber sind bis heute nicht ausgehoben. Soldaten durchkämmten immer und immer wieder die Dörfer, ermordeten Männer, Frauen und Kinder und legten Feuer an ihre Häuser und Ernten. Wer nichts mehr hat, kann nichts der Guerilla geben.
 

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Bei den zwangsrekrutierten Zivilpatrouillen (PAC) gab es jene, die sich zurückhielten und die Nachbarn wo möglich schonten. Und jene, die ihre vermeintliche Macht genossen. Vielfach ist es dieser zweite Typ, der teils noch bis heute an den Schalthebeln der Dörfer sitzt und eine Aufarbeitung oder gar Wiedergutmachung der Gräuel von damals verhindert. "Den Freunden alles, den Feinden das Gesetz" - der alte Leitsatz lateinamerikanischer Politik aus der Zeit der Diktaturen wirkt immer noch nach.

Durch Berichte von Augenzeugen bekommt der blutige Bürgerkrieg eine nur schwer erträgliche Anschaulichkeit: wo wie in der besonders gebeutelten Provinz Quiche buchstäblich Köpfe rollten; wo Familien in die Wälder flüchteten, während ihr Haus und ihre Felder angezündet wurden. Bischof Gerardi schrieb solche Fälle auf und versammelte sie später in seinem REMHI-Bericht.

Als Vorsitzender der nationalen Bischofskonferenz nahm er 1980 an einer Konferenz im Vatikan teil; danach wurde ihm die Wiedereinreise verweigert. Bis 1982 blieb er im Zwangsexil in Costa Rica und Mexiko. Johannes Paul II. ernannte ihn schließlich 1984 zum Weihbischof in der Hauptstadt Guatemala-Stadt; seinen Bischofssitz im Quiche gab Gerardi schweren Herzens auf, widmete sich fortan der Aufarbeitung der Bürgerkriegsverbrechen, unter anderem in der Nationalen Versöhnungskommission.

Gerardis Ermordung ist eine offene Wunde der Kirche in Guatemala.

Denn im Gefängnis saßen nur jene, die das schmutzige Geschäft verrichteten. Die Militärs Byron Disrael Lima Estrada (entlassen 2012, gestorben am 29. Dezember 2019, dem Jahrestag des Friedensvertrags), sein Sohn Byron Lima Oliva (2016 im Gefängnis ermordet) und Jose Obdulio Villanueva (2003 im Gefängnis ermordet) wurden zu je 30 Jahren Haft verurteilt; der Priester Mario Orantes, der sich mit Gerardi die Arbeit in seiner Pfarrei San Sebastian geteilt hatte, zu 20 Jahren. Er wurde im Januar 2013 entlassen, wegen guter Führung. Ein Verfahren gegen 13 Militärs, die als mutmaßliche Hintermänner gelten, verlief im Sande.

2020 erschien "The Art of Political Murder", ein Dokumentarfilm über Gerardis Ermordung. Regisseur war Paul Taylor, Produzent der Hollywoodstar George Clooney. (kna)