Wahlsieger Gustavo Petro verspricht Regierung des Dialogs - Historischer Machtwechsel in Kolumbien

Mit Gustavo Petro wird ein Ex-Guerillero in den kommenden vier Jahren Kolumbien regieren. Ihm zur Seite steht als Vizepräsidentin die Umweltaktivistin Francia Márquez. Adveniat-Hauptgeschäftsführer Pater Martin Maier fordert die neue Regierung auf, alle, die sich für Frieden, Menschenrechte und Umwelt einsetzen endlich wirksam zu schützen, die Morde der Vergangenheit aufzuklären und die Straflosigkeit zu beenden.
 

Der linke Ex-Rebell Gustavo Petro ist zum neuen Präsidenten von Kolumbien gewählt worden. Foto: Senator Gustavo Petro (2019)The LeftCC BY-NC-ND 4.0


In Cali tanzen die Menschen auf den Straßen; an der Pazifikküste gibt es Hupkonzerte der Freude. Nach der Stichwahl am Sonntag steht Kolumbien vor einem historischen Machtwechsel. Linkskandidat und Ex-Guerillero Gustavo Petro kann gemeinsam mit der Goldman-Umweltpreisträgerin Francia Marquez als Vizepräsidentin das Land in den nächsten vier Jahren regieren. Auf das Duo Petro/Marquez entfielen laut der Zeitung "El Espectador" 50,4 Prozent der Stimmen.

Der parteilose Rodolfo Hernandez und seine Vize-Kandidatin Marelen Castillo - wie Marquez eine Afro-Kolumbianerin - holten 47,3 Prozent. Hernandez gratulierte dem Wahlsieger und räumte seine Niederlage ein. Auch Ex-Präsident Alvaro Uribe, prägender Kopf des lange Jahre regierenden rechtskonservativen Lagers, gratulierte am Abend dem linken Wahlsieger. Angesichts des Vorsprungs von mehr als 700.000 Stimmen war im Petro-Lager von am Abend zuvor geäußerten Vorwürfen eines möglichen Wahlbetrugs nichts mehr zu hören.

"Eine große Chance für das Land"

Der Adveniat-Mitarbeiter und Kolumbien-Kenner Thomas Jung setzt große Erwartungen in den neuen kolumbianischen Präsidenten Gustavo Petro. Dieser will für soziale Gerechtigkeit sorgen, wie auch die designierte Vizepräsidentin Márquez.

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"Wir werden diese Nation ohne Angst versöhnen."

Petro hielt vor seinen Anhängern in einer vollbesetzten Arena in der Hauptstadt Bogota eine versöhnliche Rede. Der Präsidentenpalast stehe jederzeit auch für die Opposition offen, um über die Probleme des Landes zu sprechen. In seiner Präsidentschaft werde es keine politische oder juristische Verfolgung geben. Das war vor allem an jene Wähler gerichtet, die Petro nicht gewählt hatten und Furcht vor dem Beginn einer sozialistischen Autokratie nach dem Vorbild Venezuelas haben. Auch Vizepräsidentin Marquez ließ die polarisierenden Töne des Wahlkampfs hinter sich: "Wir werden diese Nation ohne Angst versöhnen."

Emotional wurde es, als die Mutter eines bei den Sozialprotesten der vergangenen Jahre im Land getöteten Demonstranten auf die Bühne kam und das Bild ihres Sohnes in die Höhe reckte. "Ich erhebe meine Stimme für meinen Sohn", sagte Jenny Alejandra Medina. "Ich fordere Gerechtigkeit und heiße Sie willkommen, Präsident." Der weltweit beachtete Tod des Demonstranten Dilan Cruz gilt in Kolumbien als ein Symbol für die Polizeigewalt gegen die 2019 ausgebrochenen Sozialproteste, bei denen zahlreiche Zivilisten, aber auch Sicherheitskräfte ums Leben kamen.

„Die neue Regierung muss alle, die sich für Frieden, die Menschenrechte und die Umwelt einsetzen endlich wirksam schützen, die Morde der Vergangenheit aufklären und die Straflosigkeit beenden", sagt Adveniat-Hauptgeschäftsführer Pater Martin Maier. Große Bedeutung hier komme dem Bericht der im Anschluss an die Friedensverträge eingesetzten Wahrheitskommission zu, dessen Veröffentlichung für Ende Juni geplant ist. Die vielfältigen Probleme des Landes ließen sich nur lösen, wenn die bewaffneten Konflikte zwischen Guerillas, paramilitärischen Gruppen und kriminellen Banden beendet würden, die täglich neue Opfer forderten.

Für Frieden und Menschenrechte in Lateinamerika.


„Als Lateinamerika-Hilfswerk unterstützen wir daher den Aufruf der kolumbianischen Kirche zu Verhandlungen mit den aktiven bewaffneten Gruppen, um das Blutvergießen zu beenden. Denn unter der alltäglichen Gewalt leiden die Schwächsten der Gesellschaft: die indigene und afrokolumbianische Bevölkerung in den ländlichen Regionen, in denen der Staat praktisch nicht präsent ist“, sagt Pater Maier.

Petro hatte im Wahlkampf zahlreiche Ziele dieser überwiegend von der jüngeren Generation getragenen Proteste übernommen: Schutz der Sozialaktivisten, die immer wieder Mordanschlägen von illegalen Gruppen und der organisierten Kriminalität ausgesetzt sind; Friedensverhandlungen mit der immer noch aktiven ELN-Guerilla; Umsetzung des Friedensvertrags mit der FARC, Umweltschutz und ökologische Landwirtschaft, Korruptionsbekämpfung, strukturelle Reformen in Polizei und Armee.

"Von heute an verändert sich Kolumbien"

"Von heute an verändert sich Kolumbien", versprach Petro vor seinen begeisterten Anhängern. Er kündigte an, den "Kapitalismus weiterzuentwickeln", einen innerlateinamerikanischen Dialog anzustoßen und das Gespräch mit den USA zu suchen. Kolumbien ist das einzige südamerikanische Nato-Partnerland.

Gustavo Petro folgt dem Rechtskonservativen Duque im Amt, der gemäß einer in der Verfassung festgelegten Beschränkung nicht erneut antreten durfte. Duque gratulierte seinem Nachfolger noch am Abend und lud ihn zur Vorbereitung der Übergabe der Amtsgeschäfte in den Präsidentenpalast ein.

Die katholische Kirche hob am Abend in einer ersten Reaktion den friedlichen Wahlverlauf hervor. Im TV-Sender Caracol sprach der in der Bischofskonferenz für die Beziehungen von Staat und Kirche zuständige Hector Fabio Henao Gaviria von der "friedlichen und massiven Beteiligung der Bevölkerung" als einer "wahren Feier der Demokratie". Das Wahlsystem habe sich als robust erwiesen und verlässliche Zahlen geliefert. Die neue Präsidentschaft werde "entschlossene Anstrengungen erfordern, damit alle Stimmen einbezogen werden und sich die Gesellschaft angemessen vertreten fühlt."

Text: Tobias Käufer/KNA