Der Amazonas:
Lunge der Erde und Opfer wirtschaftlicher Interessen

Vor fünf Jahren hat Papst Franziskus seine Umweltenzyklika „Laudato Si“ veröffentlicht. Der brasilianische Amazonaswald hat derzeit jedoch keinen Grund mitzufeiern. Seit 50 Jahren wird er systemtaisch ausgebeutet und mit ihm die indigenen Völker. Während der Corona-Pandemie spitzt sich die ohnehin kritische Lage immer weiter zu.
 

Der Amazonas-Regenwald wird seit über 50 Jahren systematisch ausgebeutet, und mit ihm die indigenen Völker, die dort beheimatet sind. Foto: Escher/Adveniat


Corona-Pandemie verschärft kritische Situation des Regenwaldes und der indigenen Völker

Während die Wirtschaft in Brasilien stillsteht, nimmt die Zerstörung im Amazonas-Gebiet im Schatten der Covid-19-Pandemie dramatisch zu. Das staatliche Klimainstitut Inpe errechnete für April 2020 einen Anstieg der Abholzungen um 64 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Es weise alles darauf hin, dass das Jahr 2020 die schlimmen Zahlen des Vorjahres weit übertreffen werde, glauben Experten.

Während dieses Jahr weltweit die CO2-Emissionen aufgrund der Corona-Krise sinken dürften, rechnen Wissenschaftler in Brasilien mit einem Anstieg von 10 bis 20 Prozent. Grund sei der starke Anstieg der Abholzung in Amazonien. Im gesamten vergangenen Jahr wurden rund 10.000 Quadratkilometer Wald gerodet, noch einmal genau so viel Wald wurde durch die Brände zerstört.

Damit steht fest, dass die Pandemie die ohnehin kritische Situation des Regenwaldes und der darin beheimateten indigenen Völker in der brasilianischen Amazonas-Region noch intensiviert. Die sind vom Coronavirus ohnehin besonders bedroht, denn ihr Immunsystem ist dem Angriff durch Covid-19 schutzlos ausgeliefert. Holzfäller, Landräuber, Jäger und Goldsucher können derzeit in die Schutzgebiete der Indigenen vordringen, ohne dass sich ihnen die Kontrollbehörden in den Weg stellen.
 


Bolsonaro will mit Amnestiegesetz Rodungen legalisieren

Während Indigene das Land als "Mutter Erde" betrachten und zum Leben nutzen, wollen Großgrundbesitzer, Holzfäller, Goldsucher, Kraftwerksbauer und Sojagroßbauern an seine Reichtümer heran. Bolsonaro sieht Amazonien als wirtschaftliches Nutzgebiet, das es auszubeuten gilt. Das heißt auch: keine indigenen Gebiete mehr ausweisen, bestehende Gebiete verkleinern und für den Bergbau freigeben. Kritiker werfen Bolsonaro vor, Holzfäller, Goldgräber und Farmer mit seinen Äußerungen zur Abholzung und zur Landnahme zu ermutigen.

Der Ex-Militär Bolsonaro hat seine Regierung mit Agrar-Lobbyisten und Militärs gespickt. Letztere wollen nun die vor fünfzig Jahren begonnene Erschließung Amazoniens vollenden. So steht in der nächsten Woche ein Gesetzentwurf im Kongress zur Beratung an, der illegal besetztes Staatsland in Amazonien legalisiert und den Landräubern per Amnestie einen Freibrief erstellt. Betroffen sind auch Gebiete, die indigene Gruppen für sich beanspruchen. Der Gesetzentwurf habe gute Chancen, eine Mehrheit zu finden, urteilen Experten.
 

Für gute Lebensbedingungen für die indigenen Völker im Amazonas.


Adveniat unterstützt Amazonas-Netzwerk Repam zum Schutz der indigenen Völker

Gleichzeitig verurteilte am Donnerstag (21.05.) eine Bundesrichterin im Bundesstaat Amazonas die Zentralregierung in der Hauptstadt Brasília dazu, „unverzüglich effektive Maßnahmen“ zur Eindämmung der Rodungen in der Region einzuleiten. Zuvor hatten Mitglieder der Bundesstaatsanwaltschaft von der Regierung verlangt, die Umweltbehörden in zehn kritische Punkte des Amazonaswaldes zu entsenden.

Platz eins der Liste der „kritischen Punkte“ hält das Indigenenreservat Ituna Itatá im Bundesstaat Pará. Alleine in diesem Gebiet wurden in den ersten vier Monaten dieses Jahres fast 400 Hektar Wald illegal gerodet. Insgesamt nahmen die Rodungen in indigenen Gebieten amazonasweit in diesem Zeitraum um 59 Prozent zu. Doch auch Naturschutzgebiete und Wälder in Staatsbesitz sind derzeit das Ziel illegaler Aktivitäten.

Der Zerstörung der einzigartigen Wälder will die Kirche nicht einfach zusehen. Wenige Monate vor dem Erscheinen von „Laudato Si“ fanden sich Bischöfe und Laien im September 2014 zu dem kirchlichen Panamazonien-Netzwerk Repam zusammen, das seitdem über Wege zur Rettung der Region berät. Repam, das von Adveniat unterstützt wird, war zudem für die Vorbereitung der Amazonas-Synode im Oktober 2019 im Vatikan mitverantwortlich. Sein Oberstes Ziel ist es, das Amazonasgebiet zu bewahren - den, wie es der Papst ausgedrückt hat, Lungenflügel der Menschheit.
 

So helfen Adveniat und Repam im Amazonasgebiet

Unser Partner im Einsatz für das Überleben der indigenen Völker und gegen die fortschreitende Umweltzerstörung ist das kirchliche Netzwerk Repam (Red Eclesial PanAmazónica). Darin bündeln Kirchen aus acht Ländern Lateinamerikas ihre Arbeit. Adveniat hat im vergangenen Jahr mit mehr als 3,2 Millionen Euro Projekte im Amazonasgebiet gefördert.
Zu den Projekten


Amazonas wird seit 50 Jahren systematisch ausgebeutet

Für den Amazonaswald ist das keine neue Situation. Er bedeckt die nördliche Hälfte des brasilianischen Staatsgebiets, den bis vor fünfzig Jahren praktisch unberührten Teil Brasiliens. Es war die 1964 an die Macht gekommene Militärdiktatur, die zur Erschließung des Gebietes aufrief. Würde man nicht rasch das riesige Gebiet erschließen, könnten ausländische Mächte es sich samt all seiner unermesslichen Bodenschätze einverleiben, so der offizielle Diskurs.

Man entwarf einen Plan zur Erschließung des Amazonasgebiets: tausende Kilometer lange Fernstraßen, die neu errichtete Städte mitten im Urwald verbinden, und Staudämme wie der erst letztes Jahr fertig gestellte Belo-Monte-Damm, die Energie für die Siedler und die angesiedelten Industrien liefern sollten. Das Herzstück der Besiedlung waren jedoch die Landwirte aus Süd- und Nordostbrasilien, die hier angesiedelt wurden.

In den letzten fünfzig Jahren hat der Amazonaswald unter dieser Erschließung nahezu 20 Prozent seiner ursprünglichen Fläche verloren. Von Süden her schieben sich die Sojafelder und Viehweiden nun bis an den Amazonasstrom heran, der das Gebiet von Westen nach Osten durchzieht. An einigen Punkten hat die „moderne Welt“ bereits Brückenköpfe am nördlichen Ufer angelegt, wie die Millionenmetropole Manaus. Nun steht der Angriff auf das schutzlose Herzstück der grünen Lunge bevor.

Während der Regierung der linken Arbeiterpartei PT, die von 2003 bis 2016 an der Macht war, konnte der Raubbau am Amazonaswald gedrosselt werden. So sanken die jährlichen Abholzungszahlen von 28.000 Quadratkilometern - was in etwa der Größe Belgiens entspricht - auf nur noch rund 4.000 im Jahr 2012. Doch mit der Regierung von Michel Temer (2016-2018) und besonders unter dem aktuellen Präsidenten Jair Messias Bolsonaro haben die Landwirte mit ihrem Ruf nach neu zu erschließenden Gebieten die Oberhand gewonnen.
 

Forderungen von Adveniat an die Bundesregierung

Der Klimawandel und die rücksichtslose Ausbeutung von Rohstoffen zerstören die Lebenswelt der indigenen Völker Lateinamerikas. Darin sind auch deutsche Unternehmen beteiligt. Um diese Entwicklung zu stoppen, hat Adveniat gemeinsam mit dem Netzwerk Repam und anderen internationalen Organisationen Forderungen aufgestellt.
Zu den Forderungen


Bolsonaro will Indigenen "keinen Milimeter Land" mehr zugestehen

Hunderttausende von Indigenen waren von den Militärs während der Erschließung der Amazonasregion von ihren Gebieten vertrieben und umgesiedelt worden. Die Verfassung von 1988 garantierte ihnen erstmals den Anspruch auf ihre traditionellen Siedlungsgebiete. Bis 1993 sollten diese an die Ureinwohner übergeben werden. Doch noch immer wird vor Gericht um hunderte Gebiete gerungen. Bolsonaro machte von Anfang an klar, den Indigenen „keinen Millimeter Land“ mehr zustehen zu wollen.

Unter ihm wurde nicht nur die staatliche Indigenenbehörde Funai entmachtet. Auch den Umweltbehörden Ibama und ICMBio hat die Regierung den Geldhahn zugedreht. Im April wurden zudem Ibama-Einsatzleiter entlassen bzw. strafversetzt, nachdem sie in der Region des Xingú-Flusses illegale Goldgräbercamps zerstört hatten. Die Goldgräber zählen zu Bolsonaros treuesten Anhängern, der ihnen im Gegenzug die Legalisierung verspricht.

Bolsonaro hat auch die von ihm als „Strafzettelindustrie“ verpönte Ausstellung von Bussgeldern durch Ibama praktisch zum Erliegen gebracht. Seit Oktober 2019 wurden lediglich fünf Bussgelder verhängt, obwohl die Ibama-Beamten tausende von Umweltvergehen meldeten. Seit dem 11. Mai unterstehen die Umweltbehörden nun auch noch den brasilianischen Streitkräften.

Text: Thomas Milz/ Adveniat