Kolumbien bei der WM: Ein Herz und eine Seele

Die kleine Rebellion gegen den hochpreisigen Fußballmarkt: Das Geschäft der Produktpiraten floriert.
Die kleine Rebellion gegen den hochpreisigen Fußballmarkt: Das Geschäft der Produktpiraten floriert. Foto: Tobias Käufer

Die Kraft des Fußballs, sagte der ehemalige FIFA-Chef Joseph Blatter einst, sei stärker als alle Kriege und Feindschaften. Und zumindest im Fall Kolumbien scheint der Schweizer Recht zu behalten. Denn trotz eines polarisierenden Wahlkampfes und einer auch nach der Wahl Iván Duques zum Präsidenten tief in linke und rechte Lager gespaltenen Gesellschaft, wird jetzt für vier Wochen das Herz der Kolumbianer im gleichen Rhythmus schlagen. Egal ob Ex-Guerilla-Chef Timochenko oder der rechte Hardliner Álvaro Uribe, wenn Kolumbien spielt, dann sind die Herzen aller Kolumbianer bei den „Cafeteros“.

In der Tat hat die Mannschaft um Bayern Münchens James Rodriguez bereits bei der letzten WM durch ihren beherzten Auftritt in Brasilien die Herzen der Fußball-Welt erobert. James stieg zum Weltstar auf. Und wo früher Nachrichten von Drogenbaronen und Bombenanschlägen um die Welt gingen, sind es heute Nachrichten rund um die Fußballstars James und Falcao. Der Friedensprozess hat Kolumbien verändert. Der argentinische Trainer Jose Pekerman ist so beliebt, dass bei der letzten Präsidentschaftswahl 2014 sogar einige tausend Kolumbianer seinen Namen auf den Zettel schrieben, obwohl er gar nicht zur Wahl stand.

Insgeheim hoffen die Kolumbianer auf eine Revanche gegen Brasilien. Das knapp verlorene Viertelfinale zwischen den beiden Nachbarn ist 2014 in die Geschichte eingegangen. Vor allem wegen einer Szene: Ein reguläres Tor von Mario Yepes wurde nicht gegeben. Es hätte der Partie wohl die entscheidende Wendung gegeben. Noch heute gibt es deshalb eine Redewendung im kolumbianischen Sprachgebrauch: „Sí era gol de Yepes“, sagen die Kolumbianer noch heute und das soll heißen: „Ja, es war doch ein Tor von Yepes.“ Die Kolumbianer fühlen sich bis heute ungerecht behandelt. Weil die Preise für die Original-Trikots der Nationalmannschaft für den Durchschnittskolumbianer utopisch hoch sind, hat sich inzwischen ein blühender Schwarzmarkt der Produktpiraten gebildet. Es ist der stille Protest der Kolumbianer gegen den Hochpreisfußball.

Sportlich ist die Mannschaft gereift. Spieler wie James, Cuadrado, Falcao oder Ospina sind Schlüsselfiguren in europäischen Spitzenteams. Nicht wenige Kolumbianer trauen ihrer Mannschaft einen ähnlich fulminanten Auftritt wie in Brasilien zu. In ihrer Gruppe mit Japan, Polen und Senegal sind die Südamerikaner zumindest nicht Außenseiter. Für die Kolumbianer heißt es wieder einmal früh aufstehen. Das Auftaktspiel gegen Japan wird um 7 Uhr Ortszeit angepfiffen. Die Restaurants und Cafes werden Frühstücke anbieten und natürlich gibt es auch Public Viewing. Kolumbien ist bereit für ein neues Fußball-Märchen.

Text: Tobias Käufer

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