DBK und Adveniat veröffentlichen Untersuchung der Fidei-Donum-Akten

Bonn/Essen.

Die Deutsche Bischofskonferenz und die Bischöfliche Aktion Adveniat haben heute (8. August 2022) eine unabhängige Untersuchung der Akten der Koordinationsstelle Fidei Donum veröffentlicht.

„Das Leid, das den Opfern sexualisierter Gewalt und des Machtmissbrauchs angetan wurde, erschüttert uns zutiefst und wir bitten sie um Entschuldigung", sagt Hauptgeschäftsführer Pater Martin Maier. Foto: Flickr (CC0 1.0) Ignacio Suarez

Die Deutsche Bischofskonferenz und die Bischöfliche Aktion Adveniat haben heute (8. August 2022) eine unabhängige Untersuchung der Akten der Koordinationsstelle Fidei Donum veröffentlicht. Daraus ergibt sich, dass der frühere Leiter der Koordinationsstelle und spätere Bischof von Santo Domingo in Ecuador (so der heutige Name der Diözese), Emil Stehle, Priester, die in Deutschland wegen sexualisierter Gewalt strafrechtlich verfolgt wurden, dabei unterstützt hat, sich den Strafverfolgungsbehörden zu entziehen. Auch wird er selbst des sexuellen Missbrauchs beschuldigt.

Eingang in die Untersuchung der Rechtsanwältin und Mediatorin Dr. Bettina Janssen fanden auch Protokolle von Gesprächen mit aktuellen und ehemaligen Adveniat-Mitarbeiterinnen und -Mitarbeitern sowie Berichte von acht betroffenen Frauen, die sich seit der Veröffentlichung der Hildesheimer Missbrauchsstudie am 14. September 2021 gemeldet hatten. Unmittelbar nach Veröffentlichung dieser Studie hatten sich Adveniat und die Deutsche Bischofskonferenz auf eine unabhängige, fachliche und systematische Untersuchung der Fidei Donum-Akten auf Anzeichen für sexuellen Missbrauch durch Fidei Donum-Priester verständigt. Auftraggeber ist die Deutsche Bischofskonferenz.

Gegen Emil Stehle, der gebürtig aus dem Erzbistum Freiburg stammt, werden im Bericht insgesamt sechzehn Meldungen und Hinweise zu sexuellem Missbrauch aufgelistet. Die beschriebenen Taten zogen sich durch seine Zeit als Priester in Bogotá (Kolumbien), als Leiter der Koordinationsstelle und Adveniat-Geschäftsführer in Essen sowie später als Weihbischof von Quito und als Bischof von Santo Domingo in Ecuador.

„Nach den Ergebnissen der Aktenuntersuchung ist es möglich, dass es weitere sexuelle Übergriffe durch Stehle gab. Auch kann es durchaus sein, dass Stehle weiteren Priestern in Lateinamerika zur Tarnung verhalf, was aber in den Akten, weil heikel, nicht dokumentiert war“, so Dr. Bettina Janssen. „Es sollten – zusammen mit den zuständigen lateinamerikanischen Bistümern – sensible Anstrengungen unternommen werden, mögliche Betroffene zu erreichen. Um ein vollständigeres Bild zu erhalten, ist auch der Frage weiter nachzugehen, inwieweit die Übergriffe Stehles den zuständigen kirchlichen Stellen bekannt waren und welche Konsequenzen sie dagegen ergriffen haben.“ Die zur Untersuchung vorgelegten Unterlagen enthielten dazu kaum Hinweise. Unabhängig davon, so die Rechtsanwältin, sei zu prüfen, ob einer „Vermittlung“ und Begleitung von Priestern und anderen über die Fidei Donum-Koordinationsstelle nach Lateinamerika mehr Struktur und Verbindlichkeit gegeben werden kann.

Drei Priester hat Emil Stehle in den 1970-er Jahren dabei unterstützt, sich den in Deutschland anhängigen Strafverfahren zu entziehen. In zwei Fällen wurden die Priester wegen Sexualdelikten an Minderjährigen gesucht, in einem war der Tatvorwurf den Akten nicht zu entnehmen. Durch Namenscodierungen, Tarnadressen und Unterhaltshilfen hat Stehle dafür gesorgt, dass sie verdeckt in Lateinamerika bleiben konnten.

„Diese Untersuchung bringt Licht ins Dunkel des Unrechts“, erklärt der Leiter der Koordinationsstelle Fidei Donum, Pater Dr. Martin Maier SJ, der auch Hauptgeschäftsführer der Bischöflichen Aktion Adveniat ist. „Das Leid, das den Opfern sexualisierter Gewalt und des Machtmissbrauchs angetan wurde, erschüttert uns zutiefst und wir bitten sie um Entschuldigung. Emil Stehle ist als Leiter der Koordinationsstelle zum Täter von sexualisierter Gewalt und Machtmissbrauch sowie zum Komplizen gesuchter Täter geworden. Viel zu lange blieben seine Schandtaten im Dunkeln, erst die Meldungen von Betroffenen haben eine Aufarbeitung möglich gemacht.“ Pater Maier unterstreicht: „Wir sind dankbar, dass diese Untersuchung durchgeführt wurde. Sie gehört zur Wahrheit, der wir uns als Kirche in Deutschland und weltweit stellen müssen. Das sind wir den Betroffenen sexualisierter Gewalt ebenso schuldig wie jenen, die unsere Arbeit unterstützen. Adveniat vertritt die Position einer absoluten Null-Toleranz gegenüber dem Verbrechen sexuellen Missbrauchs und stellt sich – auch mit dieser schonungslosen Untersuchung – an die Seite der Betroffenen in Deutschland und in Lateinamerika.“

Für die Generalsekretärin der Deutschen Bischofskonferenz, Dr. Beate Gilles, steht fest: „Der Untersuchungsbericht ist kein Schlusspunkt, sondern wird noch zu klärende Konsequenzen nach sich ziehen. Er macht auch deutlich, dass die Entsendung von Priestern und inzwischen auch anderen pastoralen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern insgesamt kritisch reflektiert werden muss.“ Die Koordinationsstelle Fidei Donum habe viel Positives bewirkt. Die Tatsache aber, dass das System auf den Missbrauch nicht adäquat reagiert habe, zeige, dass die Verantwortlichkeiten bei der Entsendung und die Begleitung während des Einsatzes in Lateinamerika präziser geklärt werden müssen. „Dazu gehört auch der Nachweis, dass zur Entsendung vorgesehene Personen im Bereich sexueller Übergriffigkeit nicht vorbelastet sind und verpflichtende Präventionsschulungen nachweisen müssen. Nur dann können wir unserem Anspruch einer Null-Toleranz gegenüber sexualisierter Gewalt und Machtmissbrauch für die Zukunft gerecht werden“, so Gilles. Die mit der Untersuchung gewonnenen Erkenntnisse würden nun an die zuständigen diözesanen Stellen weitergeleitet, in denen konkrete Missbrauchsvorwürfe gegen Diözesanpriester aufgearbeitet würden.

Hintergrund:
Unter dem Namen „Fidei Donum“ („Geschenk des Glaubens“) – nach der Enzyklika Fidei Donum von Papst Pius XII. aus dem Jahr 1957 – sind seit den 1960-er Jahren bis heute etwa 400 Priester von ihren deutschen Heimatbistümern in verschiedene Länder Lateinamerikas entsandt worden. 1971 hat die Deutsche Bischofskonferenz dazu eine Koordinationsstelle eingerichtet. Diese von 1973 an bei Adveniat angesiedelte Stelle hat als wichtigste Aufgabe die Begleitung der Priester während ihres Dienstes in Lateinamerika – sofern dies von den Priestern gewünscht wurde. So werden von der Koordinationsstelle regelmäßig Jahrestreffen organisiert, die dem inhaltlichen Austausch und sozialen Zusammenhalt dienen. Über Weihnachtspost und allgemeine Rundschreiben wird vom Leiter der Koordinationsstelle der Kontakt mit den Fidei Donum-Priestern gepflegt. Die Beziehungen zu den Fidei Donum-Priestern sind jedoch sehr unterschiedlich; manche von ihnen sind etwa ohne vorherige Information an die Koordinationsstelle ausgereist.

Hinweise:
Den Abschlussbericht von Dr. Bettina Janssen zur Untersuchung der Akten der Koordinationsstelle Fidei Donum können Sie hier als pdf-Datei herunterladen.

Die Deutsche Bischofskonferenz ist ein Zusammenschluss der katholischen Bischöfe aller (Erz-)Bistümer in Deutschland. Derzeit gehören ihr 69 Mitglieder (Stand: August 2022) aus den 27 deutschen (Erz-)Bistümern an. Sie wurde eingerichtet zur Förderung gemeinsamer pastoraler Aufgaben, zur Koordinierung der kirchlichen Arbeit, zum gemeinsamen Erlass von Entscheidungen sowie zur Kontaktpflege zu anderen Bischofskonferenzen. Oberstes Gremium der Deutschen Bischofskonferenz ist die Vollversammlung aller Bischöfe, die regelmäßig im Frühjahr und Herbst für mehrere Tage zusammentrifft.

Adveniat, das Lateinamerika-Hilfswerk der katholischen Kirche in Deutschland, steht für kirchliches Engagement an den Rändern der Gesellschaft und an der Seite der Armen. Dazu arbeitet Adveniat entschieden in Kirche und Gesellschaft in Deutschland. Getragen wird das Werk von hunderttausenden Spenderinnen und Spendern – vor allem auch in der alljährlichen Weihnachtskollekte am 24. und 25. Dezember. Adveniat finanziert sich zu 95 Prozent aus Spenden. Die Hilfe wirkt: Im vergangenen Jahr konnten 1.500 Projekte mit rund 29 Millionen Euro gefördert werden, die genau dort ansetzen, wo die Hilfe am meisten benötigt wird: an der Basis, direkt bei den Armen.

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