"Der Flüchtlingsstrom übersteigt unsere Kapazitäten"

Von Januar bis Ende März sind in der Migrantenherberge Betania-Santa Marta in Salto de Agua bereits fast 10.000 Migranten versorgt worden. Das ist mehr als im ganzen vergangenem Jahr, in dem die Herberge wegen der Pandemie 8.150 Menschen registriert hatte. Doch Bruder Joachim Mnich und sein Team geben nicht auf. Besonders dankbar sind sie dabei für die stetige Unterstützung der Katholiken in Deutschland über Adveniat, erklärt Bruder Joachim Mnich im Interview.
 

Etwas zu essen und zu trinken, ausruhen und die nötigste Versorgung von Wunden, Schwielen und Krankheiten - das bieten die Migrantenherbergen den Menschen, die unter unvorstellbaren Strapazen den Weg in Richtung Norden auf sich nehmen.

Etwas zu essen und zu trinken, ausruhen und die nötigste Versorgung von Wunden, Schwielen und Krankheiten - das bieten die Migrantenherbergen den Menschen, die unter unvorstellbaren Strapazen den Weg in Richtung Norden auf sich nehmen. Foto: Hoch/Adveniat


Der Regierungswechsel in den USA, Klimakatastrophen und politische Rückschläge haben die Migration aus Zentralamerika in Richtung USA erneut anschwellen lassen. Wie sieht die Situation im südmexikanische Bundesstaat Chiapas an der Grenze zu Guatemala zurzeit aus?

Joachim Mnich: In den letzten Monaten haben die Migrationsströme weiter zugenommen. Die Biden-Regierung setzt Mexiko stillschweigend unter Druck, den Migrantenstrom einzudämmen. Militärs der Guardia National, der Migrationsbehörde, und Grenzschutzbeamte wurden verstärkt an die Südgrenze entsandt, um die inoffiziellen Migrantenströme zu kontrollieren. Um einer Festnahme durch die Behörden zu entkommen, werden eine Vielzahl von neuen Routen von den Migranten, aber auch von den Schleppern, den sogenannten Coyotes, gesucht.

Bruder Joachim Mnich (links) und Pater Rodolfo Rodriguez Reza kümmern sich in der Kapelle Santa Marta in Salto de Agua um Migranten. Foto: Hoch/Adveniat

Wie ist die Situation in der Migrantenherberge in Salto de Agua?

Joachim Mnich: Von Januar bis Ende März haben wir in der Migrantenherberge Betania-Santa Marta in Salto de Agua bereits fast 10.000 Migranten versorgt. Das ist mehr als im ganzen vergangenem Jahr, in dem wir wegen der Pandemie 8.150 in der Herberge registriert haben. Der Flüchtlingsstrom übersteigt unsere Kapazitäten. Die Migrantenherberge in Salto de Agua ist für etwa 80 Migranten konzipiert, es werden aber täglich doppelt oder drei Mal so viele Menschen aufgenommen. 

Welche Auswirkungen hat die Corona-Pandemie auf die Migranten, die sich oft ungeschützt auf den ohnehin lebensbedrohlichen Weg in Richtung USA machen?

Joachim Mnich: Die Migranten sind unterwegs, als ob es keine Corona-Pandemie gäbe. Sie kommen und gehen. Natürlich versuchen wir in der Herberge alle uns möglichen Vorsichtsmaßnahmen umzusetzen. Dabei werden wir auch von Ärzte ohne Grenzen unterstützt, die uns helfen, die Migranten zu Versorgen. Bis jetzt wurde ein Migrant positiv getestet und es gab einen Verdachtsfall. Im Zusammenhang mit der Pandemie hat die USA versprochen, Impfstoffe nach Mexiko zu schicken, unter der Bedingung, dass Mexiko die Grenzüberquerungen eindämmt.
 

Für die Unterstützung von Migranten in Lateinamerika.


Können Sie uns beispielhaft die Geschichte eines Migranten oder einer Migrantin erzählen?

Joachim Mnich: Es gibt so viele konkrete Gründe, warum sich die Menschen sich auf den Weg machen: Weil es keinen Job gibt und die Kriminalität wird von Tag zu Tag schlimmer wird. Wer im Dreiländereck Guatemala, Honduras und Belize arbeitet, verdient wenig – und das Wenige wird ihm oftmals gestohlen. Die Migrantin Dinora hat mir erzählt, dass sie in einem Restaurant gearbeitet hat. Zwei Mal im selben Monat wurde ihr das Wenige, was sie verdient hat, geraubt.  Arbeit ist generell nur schwer zu finden. Es gibt keinen Weg aus der Armut, schlimmer noch, die Armut wächst durch die Corona-Pandemie und die verheerenden Naturkatastrohen. Das berichtet auch Dinora: ‚Die letzten Naturkatastrophen haben auch unsere gesamte Existenz zerstört. Ich hatte ein bescheidenes Holzhaus und ich habe alles verloren. Die Kinder ließ ich beim Nachbarn. Wir können in der Heimat nicht mehr leben, weil wir nichts mehr haben, wir sind praktisch auf der Straße. Und auch die Pandemie hat uns stark getroffen. Deshalb müssen wir unsere Familie und unsere Kinder verlassen, um nach Möglichkeiten zu suchen, um unseren Kindern eine bessere Zukunft zu ermöglichen.‘

Die Steyler Missionare Joachim Mnich (links), Alberto Gomez Sanchez und die Vinzentiner-Schwester Maria Tello in der Casa de Migrantes in Palenque. Foto: Hoch/Adveniat

Haben Sie Dinora gefragt, was sie zurückgelassen hat und welche Hoffnung sie trägt?

Joachim Mnich: Ja, ihre Antwort steht stellvertretend für ungezählte Migranten: ‚Wir haben das Wichtigste auf der Welt zurückgelassen, unsere Familie, unsere Kinder, um sie vor dem lebensbedrohlichen Weg zu schützen.‘ Aber natürlich sind auch viele Familien oder unbegleitete Minderjährige auf dem Weg in Richtung USA. Viele der Migranten sind gläubig und sie vertrauen auf Gott, dass sie das Ziel, ein menschenwürdiges Leben, erreichen.

Wie hilft die Kirche vor Ort mit Unterstützung von Adveniat?

Joachim Mnich: Die meisten Migrantenherbergen werden von der Kirche und einigen Ordensgemeinschaften geleitet, so auch das Migrantenhaus Betania-Santa Marta in Salto de Agua. Es ist ein gemeinsames Projekt der Steyler Missionare und der Diözese San Cristóbal de las Casas. Zurzeit werden wir zudem unterstützt durch die Franziskaner Missionarinnen. Ganz besonders dankbar sind wir für die Hilfe von Adveniat beim Aufbau des Migrantenhauses, wie auch für den Einkauf der Nahrungsmittel und Medikamente. Es freut uns, dass die Hilfe, die wir durch die Spenden der Gläubigen aus Deutschland erhalten haben, dazu beiträgt, die Not derer zu lindern, die sich voller Hoffnung auf eine bessere Zukunft auf den Weg machen. Wir sind in unserer Herberge für die Menschen da, die auf dem beschwerlichen Weg sind. Wir laden sie ein, auszuruhen, hören ihnen zu und teilen Brot und Hoffnung mit ihnen.

Das Interview führte Carolin Kronenburg.