Kolumbiens Vizepräsidentin will Rassismus bekämpfen

„Ich möchte, dass uns der Papst dabei hilft“. Seit mehr als einem Jahr ist in Kolumbien eine linke Regierung im Amt. Die afrokolumbianische Vizepräsidentin Francia Marquez treibt den Friedensprozess engagiert voran. Unterstützt wird sie dabei von Adveniat und insbesondere dem Hauptgeschäftsführer Pater Maier. Im KNA-Interview sagt sie dem Rassismus in Lateinamerika den Kampf an.

Vizepräsidentin Francia Marquez im Gespräch mit Hauptgeschäftsführer Pater Martin Maier während einer Pressereise des Lateinamerika-Hilfswerks Adveniat Foto: Philipp Lichterbeck/Adveniat

Kolumbiens Vizepräsidentin Francia Marquez (42) ist die erste afrokolumbianische Frau im zweithöchsten Amt des südamerikanischen Landes. Die als Aktivistin bekannt gewordene Vizepräsidentin hat während einer Pressereise des Lateinamerika-Hilfswerks Adveniat mit deutschen Journalisten über ihre Ziele gesprochen. 

Frau Vizepräsidentin, wie haben Sie den Wechsel von der Aktivistin zur Vizepräsidentin erlebt?

Ich komme aus sozialen Bewegungen und bin eine Menschenrechtsaktivistin. Ich musste lernen, wie Institutionen funktionieren. Es war eine Herausforderung für mich, aber mit dem Ziel und der Überzeugung, das zu tun, was wir können, um Kolumbien zu einem gerechteren, würdigeren und gleicheren Land für alle zu machen. Während des Wahlkampfs schlug der Präsident vor, eine neue Institution für das Land zu schaffen, ein Ministerium, und daran haben wir in diesem Jahr gearbeitet. So haben wir das Ministerium für Gleichheit und Gleichberechtigung geschaffen. Wir machen Fortschritte, legen den Haushalt fest, damit diese Institution keine leere Hülle ist, sondern eine Realität, um in die schwächsten Menschen in diesem Land zu investieren.

Ein Thema, das Sie besonders antreibt, ist der Kampf für die Rechte der afrokolumbianischen und der indigenen Bevölkerung. Wie ist deren aktuelle Situation?

In der Tat leiden indigene und afrokolumbianische Völker noch immer unter den Auswirkungen von Sklaverei, Kolonialismus und Rassismus.

Welchen Ansatz verfolgen Sie, um dem entgegenzuwirken?

Kolumbien hatte den afrikanischen Kontinent vergessen, es hatte Botschaften eingerichtet, aber es gab keine diplomatischen Beziehungen zu diesen Ländern. Diejenigen, die Kolumbien vorher regierten, sahen Afrika weiterhin als das wilde Afrika, als das Afrika, in dem die Menschen an Hunger sterben - ohne Verbindung zu Kolumbien. Unsere Regierung sieht das anders. Wir glauben, dass Afrika wieder mit Amerika und der Karibik verbunden sein sollte. Denn es gibt eine gemeinsame Geschichte der Sklaverei, aber auch eine gemeinsame Geschichte des Widerstands und der Freiheit. Und für mich ist es ein Akt der historischen Wiedergutmachung, wenn ich diese Verbindung wiederherstellen kann.

Ich sage das als Frau afrikanischer Abstammung, die gerade vier Generationen meiner Familie hinter sich hat, die versklavt wurden. Meine Großmutter ist 93 Jahre alt, die Großmutter meiner Großmutter war eine versklavte Frau. Ich glaube, wenn wir diese Verbindung zu Afrika nicht wiederherstellen, haben wir das Gefühl, dass ein Teil unserer Familie zerbrochen ist. Unsere andere Familie ist auf diesem Kontinent. Wir wissen nicht wo, aber sie ist dort.

Was genau haben Sie politisch vor?

Wir können nicht ändern, was bereits geschehen ist, aber wir können die Bedingungen ändern, unter denen die indigenen und afroamerikanischen Bevölkerungsgruppen leben. In diesem Sinne spreche ich von historischer Wiedergutmachung. Ich weiß, dass die katholische Kirche eine Rolle bei der Sklaverei gespielt hat. Meine Großmutter stand jeden Sonntag um fünf Uhr morgens auf, um in die Kirche zu gehen und zu beten. Wir sind 40 Minuten auf dem Bürgersteig gelaufen, um zur Kirche zu gelangen. Wir sind gläubig. Es gibt viele Menschen, die immer noch unter den Folgen der Sklaverei, des Kolonialismus und des Rassismus leiden, weil sie wissen, dass der Rassismus darauf beruht, dass die einen als überlegen und die anderen als minderwertig gelten. Wir müssen uns weiterentwickeln, niemand sollte zurückgelassen werden. Aus diesem Grund spreche ich von historischer Wiedergutmachung.

Und was kann die Kirche dabei tun?

Ethnische Gerechtigkeit und Klimagerechtigkeit gehen Hand in Hand. Die Zerstörung begann mit dem Sklavensystem. Das Wirtschaftssystem, das wir auf dem ganzen Planeten haben, ich spreche nicht von links oder rechts, hat dieses Haus zerstört. Wir alle haben dieses Haus zerstört. Deshalb glaube ich, dass wir, wenn wir über einen Schuldentausch für den Klimaschutz sprechen, einen Schuldentausch für ethnische Gerechtigkeit definieren sollten. Das heißt, dass die am meisten gefährdeten Bevölkerungsgruppen, die derzeit die Auswirkungen des Klimawandels erleben, die gleichen sind, die in der Vergangenheit diese Gewalt erfahren haben.

Ich möchte, dass uns der Papst dabei hilft, dass die Kirche uns dabei hilft. Ich habe eine sehr starke Bindung zu Papst Franziskus in Bezug auf Umweltfragen. Ich bin sehr glücklich über sein neues Schreiben "Laudate Deum", in dem er das Thema aufgreift, um die Herausforderung des Klimawandels anzunehmen.

Das Interview führte Tobias Käufer (KNA)

Für die Unterstützung der Menschen in Lateinamerika.