Gewalt gegen Indigene nimmt zu

Die indigenen Völker in Brasilien werden verstärkt Opfer von Gewalt. Die illegale Enteignung ihrer Territorien hat sich 2019 mehr als verdoppelt im Vergleich zum Vorjahr. Das belegt der vom Lateinamerika-Hilfswerk Adveniat finanziell unterstützte Gewaltbericht der Fachstelle der katholischen Kirche für Indigenenfragen (Cimi).

Illegale Inbesitznahme indigener Gebiet haben stark zugenommen

Der Cimi-Gewaltbericht belegt, dass die illegale Inbesitznahme indigener Territorien sich 2019 im Vergleich zum Vorjahr mehr als verdoppelt hat. Die Strategie dahinter führt auch zur deutlichen Zunahme der Brände im Amazonas-Gebiet. Foto: Adveniat

Die Gewalt gegen Brasiliens indigene Bevölkerung und ihr Land hat auch im Jahr 2019 zugenommen: Das geht aus dem Jahresbericht des katholischen Cimi hervor, der am Mittwoch vorgestellt wurde. Demnach stieg die Zahl der Fälle von illegaler Besitznahme indigenen Landes oder dessen Ausbeutung um rund 135 Prozent gegenüber 2018. So wurden im vergangenen Jahr landesweit 256 solcher Fälle registriert (2018: 109). Der Bericht spricht von einer „Explosion“ der kriminellen Brandlegungen, die 2019 den Amazonas und die Savanne (cerrado) verwüsteten. "Die Brandlegungen sind häufig wesentliches Element eines kriminellen Landraubschemas, bei dem die 'Säuberung' ausgedehnter Waldflächen z. B. dazu dient, die Einrichtung von Landwirtschaftsbetrieben zu ermöglichen. Die Kette funktioniert folgendermaßen: Die Invasoren fällen die Bäume, verkaufen das Holz, setzen das Gestrüpp in Brand, legen Weiden an, zäunen sie ein und bringen schließlich Rinder auf diese „gesäuberten“ Gebiete und pflanzen später dort Soja oder Mais." Für die vom Lateinamerika-Hilfswerk Adveniat unterstützte Fachstelle für Indigenenfragen Cimi steht fest, dass es sich dabei um Regierungsprojekt handelt, das darauf abzielt, indigenen Territorien und die darin enthaltenen Gemeingüter Unternehmern vor allem aus den Sektoren des Agrobusiness, des Bergbaus und der Holzindustrie zugänglich zu machen.

für den Schutz der indigenen Völker in Lateinamerika.

Pater Michael Heinz, Hauptgeschäftsführer des Lateinamerika-Hilfswerks Adveniat

Pater Michael Heinz, Hauptgeschäftsführer des Lateinamerika-Hilfswerks Adveniat. Foto: Martin Steffen/Adveniat

Für den Hauptgeschäftsführer des Lateinamerika-Hilfswerks Adveniat Pater Michael Heinz steht fest: „Indigene werden systematisch von ihren angestammten Territorien vertrieben, gesellschaftlich ausgegrenzt und gezielt ermordet.“ Die Verantwortung dafür sieht der Adveniat-Chef jedoch nicht allein bei der brasilianischen oder anderen lateinamerikanischen Regierungen. „Auch wir Europäer tragen dafür Verantwortung, dass sich die Zahl der Brände im Amazonasgebiet nach den Rekordwerten 2019 in diesem Jahr nochmals erhöht hat.“ Pater Heinz verweist darauf, dass das US-Wissenschaftsmagazin „Science“ in einer Studie klargestellt hat, dass ein Fünftel der Soja- und Rindfleischimporte der Europäischen Union aus Brasilien im Zusammenhang mit illegaler Abholzung im Amazonasgebiet und der Cerrado-Savanne stehe. „Das Ändern unseres eigenen Lebensstiles ist genauso wichtig wie der politische Wandel“, ist der Adveniat-Chef überzeugt, der vor einem Jahr als Berater an der Amazonas-Synode teilgenommen hatte. „Die Vertreter der indigenen Völker und unserer Partner von vor Ort haben mich immer wieder eindringlich aufgefordert: ‚Setzt euch dafür ein, dass die ILO 169 von Deutschland ratifiziert wird!‘“ Die Hoffnung dahinter: Wenn ein wirtschaftlich so mächtiger Player wie Deutschland die einzige internationale Bestimmung zum Schutz der indigenen Völker ratifiziert, steigt der Druck auf die lateinamerikanischen Staaten, die Bestimmungen auch einzuhalten. „Die Indigenen müssen mit ihrem Verhältnis zur Natur und ihrem Umgang mit der Schöpfung zu unseren Vorbildern werden“, ist Adveniat-Hauptgeschäftsführer Pater Heinz überzeugt.

Die Zahl der Morde an Indigenen ging dem Cimi-Bericht derweil zurück, von 135 Fällen in 2018 auf nun 113. Die Zahl der Suizide lag mit 133 Fällen jedoch um 32 höher als in 2018. Die Kindersterblichkeit verzeichnete ebenfalls einen starken Anstieg, von 591 auf nun 825 Fälle. In allen drei Kategorien seien die Informationen der Behörden jedoch lückenhaft, so Cimi. Zudem beklagte der Missionsrat eine unzureichende medizinische Betreuung der Indigenen.

In ganz Brasilien leben nach Cimi-Angaben 305 indigene Völker. Laut der Verfassung von 1988 sollte ihren Gebietsansprüchen innerhalb von fünf Jahren, also bis 1993, nachgekommen werden. Wie Cimi nun berichtet, erheben die Indigenen Anspruch auf 1.298 Gebiete. Bisher sind die Landvergabeprozesse allerdings in 829 Fällen noch nicht abgeschlossen, darunter 536 Fälle, in denen der Staat noch nichts unternommen hat.

KNA/red